THEODOR  KIRCHNER   (1823 - 1903)
 


 
 

                               STIMMEN  zu  THEODOR KIRCHNER
 
 

                               "Dass Herr Theodor Kirchner ein höchst talentvoller und kenntnisreicher Musiker ist,
                                dass er sich durch seine Fähigkeiten und Leistungen ebenso sehr wie durch seinen
                                Eifer und sein Streben auszeichnet, dass die eigenen Compositionen, die er theilweise
                                schon veröffentlicht hat, sowohl von seiner Erfindungsgabe wie von seinen Kennt-
                                nissen das gründlichste Zeugniss ablegen, dass er zugleich ein sehr tüchtiger Clavier-
                                und Orgelspieler ist, der die classischen Werke für beide Instrumente genau kennt
                                und in gelungener Ausführung wiederzugeben versteht, dass ich ihn also für voll-
                                kommen befähigt halte, einer Organisten- oder Musikdirectorstelle mit Ehren und
                                Nutzen für die Kunst vorzustehen, bescheinige ich durch meine Namensunterschrift
                                Leipzig den 26. July 1843. Felix Mendelssohn-Bartholdy".
 

                                "Es war Kirchner, der besonderste Schüler Robert Schumanns, der nach der Art, wie
                                 er sich völlig in des Meisters tiefste Innerlichkeit hineingelebt hat, nun eine Reihe von
                                 dessen seltener gehörten Clavierstücken vortrug, dass in der That jener schönste Ge-
                                 nuss, der der Seele zu Theil werden kann, dass sie in das Allerinnerste hineinschaut,
                                 die unsere Kunst für geistesartige, ja fast gedankenhafte Dinge in der That besitzt".

                                (Ludwig Nohl, 1876)
 

                          "Mit dem Hellerschen verglichen ist Kirchners Klaviersatz weniger grossflächig und
                                 einfach, ungleich intimer und die Kleinarbeit, das musikalische Goldfiligran auf
                                 engstem Raum liebend, ... und ungleich reflektierter, grüblerischer und innerlicher
                                 wie Heller. Die figurative Ausgestaltung erreicht bei ihm die äusserste Verfeinerung;
                                 alles nur entfernt ans 'Brillante' Erinnernde, alles Passagenwesen verschwindet, die häufige
                                 Anwendung von graziösen weiten Staccato-Sprüngen tritt dafür als stilistisches Merk-
                                 mal an desen Stelle ... Er bleibt Schumannianer von musikalisch originaler, ja stellen-
                                 weise genialer Bedeutung sein Leben lang".

                                  (Walter Niemann, 1910)
 

                                 "Es ist wieder so eine köstliche Gabe, wie nur Sie sie geben können: voll Reiz, voll Poesie
                                  und tief bey aller Einfachheit ... Ihre Werke sind mir ungemein lieb. Sie geben mir wahre
                                  Erquickung. Das ist alles so ächt, so edel, durch und durch interessant, wie ein schönes
                                  Buch, das man immer wieder durchblättert, darüber nachdenkt, und sich im Stillen an
                                  diesem und jenem Gedanken erfreut. Sprechen Sie nicht von 'Kleinen Sachen'. Sie sind
                                  nicht lang, viele sehr kurz; aber sie sind reich, vollwichtig, voll Geist und Grazie. Dicke
                                  Bände namhafter Komponisten werden vergessen sein, wenn Ihre Kleinen Sachen fort-
                                  blühen werden".

                                  (Stephen Heller, 1880)
 

                                  "Schade ist's, dass er sich nicht an Grösseres macht. Ich habe ihm immer wieder zugeredet -
                                   ich kann gar nicht gut zusehen, wenn solch eine musikalische Natur so untergeht im Dämmern...
                                   Es ist schade um ihn, es wird nichts Ordentliches aus ihm bei aller sonstigen Begabung...
                                   Kirchner ist das Beispiel eines in Träumerei fast untergegangenen Menschen, nicht nur des
                                   Künstlers, denn in seiner ganzen Persönlichkeit ist kein Halt".

                                  (Clara Schumann, 1857)
 

                                   "Kirchner ist mit seiner musikalischen Erfindung niemals über die Grenzen eines empfindsamen
                                   Liedes ohne und mit Worten, eines graziösen Albumblattes, einer leichten Sonatine hinausgekom-
                                   men; in diesem kleinen Genre aber verdient er ein grosser Meister genannt zu werden.Mehr Aqua-
                                   rellist als Öl- oder al fresco-Maler bringt er durch sein zartes, in tausenden von feinen Übergängen
                                   und Nuancen sich ergebendes Kolorit Wirkungen hervor, die anderen versagt sind... Seine Haupt-
                                   force besteht in der auch von Schumann öfters angewandten Kunst, den ganzen Charakter eines
                                   Musikstückes am Schlusse nochmals in ein paar Akkorde zusammenzufassen, und ihn als ein kon-
                                   zentriertes Bild, wie in einem magischen Spiegel, uns zum letztenmale vorzuführen. Von dieser
                                   Kunst, die er nur noch mehr erweiterte und vertiefte, hat Brahms profitiert. Das Überraschende
                                   und dabei zugleich Aufschliessende, Erklärende und Befriedigende, was manche Coda seiner
                                   Sonatensätze enthält, deutet noch mehr auf Kirchner, als auf Schumann und Beethoven zurück".

                                   (Max Kalbeck, 1912)
 

                                   "Von Schumann trennt ihn das Unliterarische, Nur-Musikalische der Arbeitsweise, von Mendels-
                                   sohn die ungleich bedeutendere harmonische und rhythmische Differenziertheit, von Brahms die
                                   ganz anders geartete Architektur seiner Miniaturen. Er ist ihnen sicher an Atem und Kraft der
                                   Aussage unterlegen; ... aber auf seinem eigenen Feld, der Miniatur, ist er selber ein Meister und
                                   hat es nach allen Richtungen mit Inspiration, grossem Können und technischem Raffinement be-
                                   arbeitet".

                                  (Gerhard Puchelt, 1969)
 

                                  "In Kirchner allein find' ich eine warme Musikerseele - der ist nun aber zu jung noch, dem man nicht
                                  so viel sagen darf als einem Aelteren; es würde ihm mehr schaden als nützen... Das Conservatorium
                                  beschäftigt uns jetzt alle... Kirchner hat sich auch als Zögling aufnehmen lassen. Er ist jedenfalls
                                  das bedeutendste productive Talent von allen. Den 1sten Satz eines neuen Quartetts hat mir Men-
                                  delssohn sehr gelobt".

                                  (Robert Schumann, 1843)
 

                                 "Im Mittelpunkt dieser Bestrebungen stand Theodor Kirchner. Als Klavierspieler gehörte er zu den
                                 wenigen Erlesenen, welche besonders die tief poetische Romantik Schumann's zu unübertrefflicher
                                 Geltung zu bringen wussten. Wir verkehrten viel mit ihm, denn während sonst die Musiker sich meist
                                 durch grosse Einseitigkeit bemerklich machen, war er ein Mann von freierem Blick und von viel-
                                 seitiger Bildung. Namentlich aber war ihm ein Humor eigen, der in seiner Trockenheit und Prägnanz
                                 unwiderstehlich wirkte...".

                                 (Wilhelm Lübke, 1893)
 

                                 "Kirchner hat höchst anmutige und so hübsch, ich meine so wirklich vierhändige Klavierstückchen
                                 geschrieben, natürlich wieder ein Schock. Er ist einmal darin wie die Kaninchen, und es kommen
                                 auch immer nur so kleine wuzliche Künigelhaserln zum Vorschein; aber Grazie und so wundervoll
                                 musikalisch ist doch alles, was er macht, dass es einem wohltut, neben all' dem dilettantischen
                                 Schund".

                                 (Elisabeth von Herzogenberg, 1881)
 

                                "Kirchner will nicht flüchtig betrachtet sein, seine Werke verlangen bis ins Detail liebevolles Eingehen
                                 auf den poetischen Gehalt. Mögen nun Vortragsstücke, Studien, Lieder und andere Werke in Betracht
                                 kommen, in allen diesen Gattungen tritt uns der mit äusserstem Feingefühl ausgestattete Tonpoet in
                                 der ihm eigenen Grösse entgegen. Seine Klaviermusik, die so gar nichts Äusserliches hat, aber trotz-
                                 dem eine eigene Technik erfordert, verlangt vor allem innerliches Erfassen, wenn Wirkungen erzielt
                                 werden sollen".

                                 (Goby Eberhardt, 1926)
 

                                  "Kein zweiter hat die Lieblingsform dieser Epoche so ausschliesslich gepflegt wie Kirchner, und nur
                                  wenige so glücklich wie er. Die Geschichte der musikalischen Miniaturen wird den Namen Theodor
                                  Kirchners jederzeit in grossen Lettern fortführen müssen... Kirchner hat sich innerhalb der engen
                                  Grenzen, in denen er sich festsetzte, eine Kürze angewöhnt, eine Knappheit und Sicherheit des Aus-
                                  drucks, die fast epigrammatisch wirkt; er hat dem kleinen Genrestück Fragen und Mitteilungen an-
                                  vertraut, denen man es von Haus aus für nicht gewachsen halten sollte".

                                  (Hermann Kretzschmar, 1910)
 

                                  "Bestrebungen Jüngerer zu folgen, ist mir immer eine grosse Freude. So, wenn Sie vielleicht etwas
                                   von ihm kennen sollten, denen von Th. Kirchner, den ich schon als achtjährigen Burschen kannte
                                   und der viel verhiess. Er hat vor kurzem zwei Hefte Klavierstücke (auch viele Lieder) erscheinen
                                   lassen, die mir zu den genialsten der jüngeren Komponisten zu gehören scheinen".

                                  (Robert Schumann, 1853)
 

                                   "Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass Kirchner sich in seinem motivischen Material die
                                   äusserste Beschränkung auferlegt, dass oft ein einziger Gedanke für ihn hinreicht, um einen Kunst-
                                   bau von reichster Gliederung und klassischer Schönheit vor uns erstehen zu lassen. Kirchner zeigt
                                   sich in dieser Beziehung seinem mehr in Sequenzen sich gefallenden Vorbild Schumann überlegen
                                   und als ein würdiger Vorläufer von Johannes Brahms, in dessen Stücken op.118 und 119 diese Rich-
                                   tung wohl ihre höchste Vollendung und Vertiefung erreicht hat, wenn auch Brahms an immer neu
                                   quellender, blühender Erfindung seinen Vorgänger vielleicht nicht ganz erreicht".

                                   (Otto Klauwell, 1909)
 

                                   "[Kirchners Hefte op.11-23 blättern wir durch]... ohne befürchten zu müssen (wie in der meisten
                                    heutigen Claviermusik mit wenigen ehrenwerten Ausnahmen), auf Schritt und Tritt etwas Abstossen-
                                    dem, Trivialem und höchst Widerwärtigem zu begegnen. Alles ist aus innerster Seele heraus em-
                                    pfunden, tief gefühlt; es sind wahre Stimmungsbilder und jedem ächt künstlerischen Bedürfniss
                                    wird darin in umfassender Weise Genüge geleistet".

                                   (Johann Carl Eschmann, 1876)
 

                                   "Umso bewunderungswürdiger erscheint der Erfindungsreichtum, die quellende Frische und Origina-
                                   lität, welche die Tondichtungen unseres Künstlers kennzeichnen. Von Wiederholungen, stereotypen
                                   Ausdrucksformen, wie sie nicht blos den meisten Neueren, sondern selbst manchen unserer Classiker
                                   anhaften, findet man bei Kirchner so gut wie nichts. Aehnlich wie Chopin ist er immer neu, uner-
                                   schöpflich an geistreichen Wendungen, an Motiven voll bestrickenden Gesanges, an Grazie und
                                   Humor... Dabei zeigt er ein ausserordentliches Feingefühl und eine seltene Erfindungskraft für
                                   harmonische Combinationen; scheinbar entlegenste Klänge bringt er auf geniale Weise mit ein-
                                   ander in Beziehung und erreicht dadurch oft zauberische Wirkungen. In der Kunst der Farben-
                                   mischung, des stimmungsvollen Helldunkels übertrifft ihn keiner, selbst Chopin nicht, dessen
                                   Meisterschaft auf diesem Gebiet längst unbestritten ist... ".

                                  (Arnold Niggli, 1888)
 

                                  Obige Zitate sind meist den in der Literaturübersicht genannten Titeln entnommen.
 

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