THEODOR  KIRCHNER (1823-1903)


 

              Biographie

                    Der Komponist, Pianist und Organist Theodor Fürchtegott Kirchner wurde am 10.
                     Dezember 1823 in Neukirchen bei Chemnitz in Sachsen als Sohn eines Lehrers geboren.
                     Der frühreife Knabe betätigte sich als Klavier- und Orgelspieler und fiel bereits als
                     14jähriger Robert Schumann auf. Auch Felix Mendelssohn riet seinem Vater, den
                     Sohn zum Musiker ausbilden zu lassen. Dies geschah ab 1838 bei dem Organisten
                     Carl Ferdinand Becker und bei Julius Knorr in Leipzig. In dieser Zeit begann Kirchners
                     enge Freundschaft mit Schumann, später auch mit dessen Braut Clara. Als bereits
                     fertiger Musiker trat Kirchner 1843 als erster Schüler ins neugegründete Leipziger
                     Konservatorium ein. Kurz zuvor erschienen seine Lieder op. 1. Noch im gleichen Jahr
                     folgte Kirchner jedoch einem Ruf als Organist an die Stadtkirche Winterthur: die Schweiz
                     sollte für rund drei Jahrzehnte seine zweite Heimat werden. Da das schmale Gehalt den
                     Lebensunterhalt nicht decken konnte, war Kirchner, durch Konzerte und das ihm stets
                     verhasste Unterrichten, zur Aufbesserung seiner Mittel gezwungen. Seit jener Zeit zogen
                     sich Schulden und ständige Geldnöte als roter Faden durch seine Biographie. Eine
                     unseliger Hang zum Glücksspiel und überzogener Lebenstil verschärften die  Sorgen und
                     führten 1864 auch zum Bruch seiner intimen Beziehung zu Clara Schumann.
                     Ab 1862 versuchte sich Kirchner als Dirigent in Zürich, ohne jedoch Fuß fassen zu können.
                     Der kompositorische Ertrag der Schweizer Jahre ist (bis zu op. 13 reichend) eher gering.
                     Dafür schloss Kirchner in Zürich seine Lebensfreundschaft mit Brahms, stand in Kontakt
                     mit Wagner, Hegar und Billroth, und ging eine wenig glückliche Ehe mit der Sängerin
                     Maria Schmidt ein, aus der 3 Kinder hervorgingen.
                     1872 zog Kirchner für ein Jahr als Musiklehrer der Prinzessin Amalie nach Meiningen, um
                     dann als Direktor der Musikschule in Würzburg (1873-1876) gänzlich zu scheitern. Die
                     kümmerlichen Jahre als Klavierlehrer in Leipzig (1876-1883) brachten eine reiche Ernte
                     an Originalwerken und meisterhaften Bearbeitungen, wohl auch der finanziellen Not
                     gehorchend. Eine Anstellung als Lehrer für Partitur- und Ensemblespiel am Konservatorium
                     in Dresden ab 1883 war lediglich mit einem Gehalt von monatlich 50 Mark dotiert: nicht mehr
                     als ein Ehrensold. Angesichts der prekären Lage verantalteten seine Hauptverleger 1884
                     eine Spendenaktion, an der sich neben vielen anderen auch Grieg, Bülow, Hanslick und
                     Reinecke beteiligten. Der Erlös von 30.000 Mark wurde angelegt und Kirchner lediglich der
                     Zins zum Lebensunterhalt ausbezahlt. Wie schon in den Jahren zuvor, wurde Kirchner vor
                     allem von Brahms auch weiterhin diskret finanziell unterstützt. 1890 wandte sich Kirchner
                     (ohne seine Familie) nach Hamburg, wo er, nach mehreren Schlaganfällen gelähmt und
                     fast erblindet im Hause einer Schülerin lebend, am 18. September 1903 starb.

                     Theodor Kirchner ist  d e r  Klavierminiaturist der Romantik. Sein mehr als 1000 Einzel-
                     stücke zählendes Klavierwerk zeigt einen ans Wunderbare grenzenden Erfindungsreichtum
                     und  enthält eine Fülle von rhythmischen Feinheiten und kühnen harmonischen Wendungen.
                     Lange wurde Kirchner, wohl aufgrund mangelnder Werkkenntnis, als Kleinmeister angesehen.
                     Sein Lebenswerk, in dem die Lieder und Kammermusikstücke zahlenmässig und vom
                     Gewicht her, in eine Nebenrolle gedrängt sind, verrät oft genialische Züge und überrascht
                     durch die Vielfalt der Ausdrucksmittel. Johannes Brahms nannte die Musik Kirchners
                     „das Zarteste vom Zarten“, was von der Nachwelt lange als Etikett einer schwächlichen
                     und blassen Schumann-Nachfolge mißverstanden wurde. Brahms meinte jedoch vielmehr
                     Intimität und Charakter, Persönlichkeit und eine fast seismographische Fähigkeit Kirchners,
                     feinste Nuancen von Stimmungen und seelischen Zuständen in seinen Werken widerzuspiegeln.
                     Einem Schüler gegenüber äusserte Kirchner gegen Lebensende seinen Wunsch zur Inter-
                     pretation der Klavierwerke: „Man muß diese Stücke mit samtnen Katzenpfötchen spielen,
                     dann klingen Sie, wie ich es mir vorstelle“.

                     Theodor Kirchners Nachlass wird heute im Brahms-Institut der Musikhochschule Lübeck
                     bewahrt. Die  Stadtbibliothek Winterthur verfügt zudem über einen guten Teil seines Brief-
                     wechsels und viele weitere, weitgehend unerschlossene Dokumente.
                     Grössere Bestände an frühen Kirchner-Ausgaben sind heute leider nur noch in wenigen
                     Bibliotheken vorhanden. In den letzten Jahren erschien jedoch eine Anzahl von Neu-
                     drucken, von denen besonders die Reihe des Amadeus-Verlages in Winterthur sowie
                     die Reprint-Serie des Leipziger Verlages Friedrich Hofmeister Erwähnung verdienen.
 
 

                     Copyright by Klaus Tischendorf 2001                Zurück zum Inhalt