13 Dinge, die keinen Sinn machen

  • 19. März 2005
  • NewScientist.com news service
  • Michael Brooks
  • Übersetzung Ulf Böhnke

1 Der Placeboeffekt

VERSUCHEN Sie das nicht zu Hause. Mehrere Male am Tag für mehrere Tage verursachen Sie bei jemandem Schmerz. Sie kontrollieren den Schmerz mit Morphium, bis zum letzten Tag des Experiments, an dem Sie das Morphium durch eine Salzlösung ersetzen. Raten Sie was passiert. Die Salzlösung entfernt den Schmerz.

Das ist der Placeboeffekt: Irgendwie kann manchmal eine ganze Menge Nichts sehr mächtig sein. Außer es ist nicht ganz Nichts. Als Fabrizio Benedetti von der University von Turin in Italien das obige Experiment ausführte, fügte er als letzte Überraschung Naloxone zu der Salzlösung hinzu, ein Medikament, das die Effekte des Morphiums blockiert. Das schockierende Ergebnis? Die schmerzlösende Macht der Salzlösung verschwand.

Also was geht da vor? Doktoren kennen den Placeboeffekt seit Jahrzehnten und die Ergebnisse des Naloxone scheinen zu zeigen, dass der Placeboeffekt irgendwie biochemisch ist. Aber davon abgesehen, wissen wir es einfach nicht.

Benedetti hat seitdem gezeigt, dass ein Placebo auch Zittern und Muskelsteifheit bei Leuten mit der Parkinsonschen Krankheit verringern kann (Nature Neuroscience, Bd. 7, S. 587). Er und seine Gruppe maßen die Aktivitäten von Neuronen, während sie die Salzlösung verabreichten. Sie fanden heraus, dass individuelle Neuronen im subthalamischen Nukleus (Kern unter dem Sehhügel – ein übliches Ziel bei chirurgischen Versuchen die Symptome von Parkinson zu erleichtern) anfingen weniger häufig zu feuern, während die Salzlösung verabreicht wurde und mit weniger "Feuerstößen” – ein weiteres Merkmal, das mit Parkinson verbunden wird. Die Neuronenaktivität sank zur gleichen Zeit, während die Symptome sich besserten: Die Salzlösung machte definitiv etwas.

Wir müssen eine Menge über das lernen, was hier passiert, sagt Benedetti, aber eine Sache ist klar: Der Verstand kann die Biochemie des Körpers beeinflussen. "Die Verwandtschaft zwischen den Erwartungen und dem therapeutischen Ergebnis ist ein wunderbares Modell, um die Wechselwirkungen zwischen Verstand und Körper zu verstehen," sagt er. Forscher müssen jetzt herausfinden, wann und wo Placebos wirken. Es könnte Krankheiten geben, bei denen es keine Auswirkung hat. Es könnte einen gemeinsamen Mechanismus bei verschiedenen Krankheiten geben. Bis jetzt wissen wir es einfach nicht.

2 Das Horizontproblem

UNSER Universum scheint unverständlich einheitlich zu sein. Betrachten Sie das All von einer Ecke des sichtbaren Universums bis zur anderen und Sie werden sehen, dass die Mikrowellenhintergrundstrahlung, die den Kosmos erfüllt, überall die gleiche Temperatur hat. Das mag nicht überraschend erscheinen, bis Sie berücksichtigen, dass die beiden Ecken beinahe 28 Milliarden Lichtjahre voneinander entfernt sind und unser Universum nur 14 Milliarden Jahre alt ist.

Nichts kann sich schneller als Lichtgeschwindigkeit bewegen, also gibt es keine Methode, wie Strahlung zwischen den zwei Horizonten reisen könnte, um heiße und kalte Flecken auszugleichen, die beim Urknall geschaffen wurden und das thermische Gleichgewicht zu hinterlassen, das wir jetzt sehen.

Dieses "Horizontproblem" ist ein großer Kopfschmerz für Kosmologen, so groß, dass sie mit einigen ganz schön aberwitzigen Lösungen daherkamen. "Inflation", zum Beispiel.

Sie können das Horizontproblem lösen, indem das Universum sich für eine Weile genau nach dem Urknall ultraschnell ausdehnt, und es um einen Faktor 1050 in 10-33 Sekunden aufbläst. Aber ist das nur Wunschdenken? "Inflation wäre eine Erklärung, wenn sie stattfinden würde," sagt der Astronom Martin Rees von der Universität von Cambridge. Das Ärgerliche daran ist, dass keiner weiß, was das verursachen würde.

Also löst Inflation in Wirklichkeit ein Problem nur, um ein weiteres zu beschwören. Eine Schwankung der Lichtgeschwindigkeit könnte das Horizontproblem auch lösen – aber auch diese Lösung ist machtlos im Angesicht der Frage "warum?" In wissenschaftlichen Ausdrücken bleibt die einheitliche Temperatur der Hintergrundstrahlung eine Anomalie.

3 Ultraenergetische kosmische Strahlen

SEIT mehr als einem Jahrzehnt sehen Physiker in Japan kosmische Strahlen, die nicht existieren sollten. Kosmische Strahlen sind Teilchen – größtenteils Protonen, aber manchmal schwere atomare Kerne – die sich nahe der Lichtgeschwindigkeit durch das Universum bewegen. Einige kosmische Strahlen, die auf der Erde entdeckt werden, werden durch solch gewalttätige Ereignisse wie Supernovas hergestellt, aber wir kennen immer noch nicht die Herkunft der höchstenergetischen Teilchen, welche die energetischsten Teilchen sind, die je in der Natur gesehen wurden. Aber das ist nicht das wahre Geheimnis.

Während sich kosmische Strahlenpartikel durch das All bewegen, verlieren sie Energie bei Kollisionen mit den schwachenergetischen Photonen, die das Universum erfüllen, zum Beispiel mit der kosmischen Mikrowellenhintergrundstrahlung. Einsteins spezielle Relativitätstheorie schreibt vor, dass jede kosmische Strahlung, welche die Erde von einer Quelle außerhalb unserer Galaxis erreicht, so viele energieverbrauchende Kollisionen erlitten hat, dass ihre maximal mögliche Energie 5 × 1019 Elektronenvolt ist. Das ist bekannt als die Greisen-Zatsepin-Kuzmin Beschränkung.

Im Verlauf des letzten Jahrzehnts hat jedoch die Akeno Giant Air Shower Array (Riesige Luftschauerphalanx von Akeno) der Universität von Tokio – 111 Teilchendetektoren, die über 100 Quadratkilometer verteilt sind – mehrere kosmische Strahlen oberhalb der GZK Beschränkung gemessen. Nach der Theorie können sie nur von innerhalb unserer Galaxie kommen, unter Vermeidung einer energieschwächenden Reise durch den Kosmos. Jedoch können Astronomen keine Quelle für diese kosmischen Strahlen in unserer Galaxie finden. Also, was geht da vor?

Eine Möglichkeit ist, dass etwas mit den Ergebnissen von Akeno nicht stimmt. Eine andere, dass Einstein unrecht hatte. Seine spezielle Relativitätstheorie besagt, dass der Raum in allen Richtungen gleich ist, aber was ist, wenn Teilchen es einfacher fänden sich in gewisse Richtungen zu bewegen? Dann könnten die kosmischen Strahlen mehr Energie speichern, was ihnen erlaubt die GZK Beschränkung zu durchbrechen.

Physiker bei dem Pierre Auger Experiment in Mendoza, Argentinien arbeiten jetzt an diesem Problem. Unter Benutzung von 1600 Detektoren, die über 3000 Quadratkilometer verteilt sind, sollte Auger fähig sein, die Energien von ankommenden kosmischen Strahlen zu bestimmen und die Ergebnisse von Akeno zu erhellen.

Alan Watson, ein Astronom an der Universität von Leeds, UK und Sprecher für das Pierre Auger Projekt, ist bereits überzeugt, dass es hier etwas gibt, das es Wert ist verfolgt zu werden. "Ich habe keinen Zweifel daran, dass Ereignisse oberhalb von 1020 Elektronenvolt existieren. Es gibt genügend Beispiele, zum mich zu überzeugen," sagt er. Die Frage ist jetzt, was sind sie? Wie viele von diesen Teilchen kommen herein und aus welcher Richtung kommen sie? Bis wir diese Information kriegen, lässt sich nicht sagen, wie exotisch die wahre Erklärung sein könnte.

4 Belfaster Homöopathieergebnisse

MADELEINE Ennis, eine Pharmakologin an der Queens University, Belfast, war die Geißel der Homöopathie. Sie verunglimpfte deren Behauptung, dass ein chemisches Heilmittel bis zu dem Punkt verdünnt werden könnte, dass es unwahrscheinlich ist, dass eine Probe ein einzelnes Molekül von etwas anderem als Wasser enthält und immer noch eine heilende Wirkung hätte. Das heißt, bis sie sich aufmachte, ein für alle Mal zu beweisen, dass Homöopathie blödes Gewäsch ist.

In ihrer jüngsten Arbeit beschreibt Ennis die Beobachtungen ihrer Gruppe zu Auswirkungen von ultra-verdünnten Lösungen von Histamin auf weiße Blutkörperchen, die in Entzündungen verwickelt sind. Diese "Basophilen" geben Histamin frei, wenn die Zellen angegriffen werden. Sobald sie freigegeben sind, stoppt das Histamin sie vor dem weiteren Freigeben. Die Studie, in vier verschiedenen Laboren nachgeahmt, fand heraus, dass homöopathische Lösungen – so verdünnt, dass sie wahrscheinlich nicht ein einziges Histaminmolekül enthalten – genau wie Histamin wirkten. Ennis mag nicht glücklich sein über die Behauptung der Homöopathen, aber sie gibt zu, dass eine Wirkung nicht ausgeschlossen werden kann.

Also wie konnte das passieren? Homöopathen bereiten ihre Heilmittel zu, indem sie Dinge wie Holzkohle, tödliche Nachtschattengewächse oder Spinnengift in Äthanol auflösen und dann diese "Muttertinktur" wieder und wieder in Wasser verdünnen. Ganz gleich bei welcher Stufe der Auflösung, behaupten Homöopathen, das ursprüngliche Heilmittel hinterlässt eine Art von Abdruck auf den Wassermolekülen. Folglich, egal wie verdünnt die Lösung auch wird, ist sie immer mit den Eigenschaften des Heilmittels erfüllt.

Sie können verstehen, warum Ennis skeptisch bleibt. Und es bleibt wahr, dass kein homöopathisches Heilmittel je in einem großen, zufällig verteilten, placebokontrollierten klinischen Test gezeigt hat, dass es wirkt. Aber die Belfaster Studie (Inflammation Research (Entzündungsforschung) Bd. 53, S. 181) weist darauf hin, dass etwas vorgeht. "Wir sind," schreibt Ennis in ihrer Arbeit, "nicht fähig unsere Befunde zu erklären und berichten über sie, um andere zu ermutigen, dieses Phänomen zu untersuchen." Wenn die Ergebnisse sich als echt erweisen, sagt sie, wären die Folgerungen tiefgehend: Wir müssten Physik und Chemie umschreiben.

5 Dunkle Materie

NEHMEN Sie unser bestes Verständnis von Schwerkraft, wenden sie es auf die Weise an, wie sich Galaxien drehen und Sie sehen schnell das Problem: Die Galaxien sollten auseinanderfallen. Galaktische Materie kreist um einen zentralen Punkt, weil ihre gegenseitige Anziehung durch Schwerkraft zentripetale Kräfte erzeugt. Aber da ist nicht genug Masse in den Galaxien, um die beobachtete Drehung zu erzeugen.

Vera Rubin, eine Astronomin, die in der Abteilung für terrestrischen Magnetismus am Carnegie Institut in Washington DC arbeitet, entdeckte diese Anomalie in den späten 1970er Jahren. Die beste Antwort von Physikern war vorzuschlagen, dass da draußen mehr Zeug ist, als wir sehen können. Der Ärger war, dass keiner erklären konnte, was diese "dunkle Materie" wäre.

Und sie können es immer noch nicht. Obwohl Forscher viele Vorschläge dazu gemacht haben, aus welcher Art von Teilchen dunkle Materie zusammengesetzt sein könnte, gibt es keine Übereinstimmung. Es ist eine beschämende Lücke in unserem Verständnis. Astronomische Beobachtungen deuten darauf hin, dass über 90 Prozent der Masse im Universum aus dunkler Materie besteht, doch sind wir erstaunlich unwissend darüber, was diese 90 Prozent sind.

Vielleicht können wir nicht ausarbeiten, was dunkle Materie ist, weil sie in Wirklichkeit nicht existiert. Das ist sicher so, wie es sich Rubin wünscht, dass es sich herausstellt. "Wenn ich die Wahl hätte, würde ich gern erfahren, dass Newtons Gesetze verändert werden müssen, um Schwerkraftwechselwirkungen über große Entfernungen richtig zu beschreiben," sagt sie. "Das ist ansprechender als ein Universum, das mit einer neuen Art von subatomaren Teilchen gefüllt ist."

6 Vikings Methan

20. JULI, 1976. Gilbert Levin sitzt auf seiner Stuhlkante. Millionen von Kilometern entfernt auf dem Mars hat das Viking Landefahrzeug etwas Boden eingeschaufelt und ihn mit Kohlenstoff-14 vermengten Nährstoffen vermischt. Die Wissenschaftler der Mission haben alle zugestimmt, wenn Levins Instrumente an Bord des Landefahrzeugs Ausdünstungen von Kohlenstoff-14 enthaltendem Methan vom Boden messen, dann muss es Leben auf dem Mars geben.

Viking meldete ein positives Ergebnis. Etwas nimmt die Nährstoffe auf, wandelt sie in seinem Stoffwechsel um und stößt dann Gas aus, das mit Kohlenstoff-14 versehen ist.

Also, warum keine Party?

Weil ein anderes Instrument, entworfen zum Identifizieren von organischen Molekülen, die als wesentliche Zeichen des Lebens betrachtet werden, nichts fand. Fast alle Wissenschaftler der Mission nahmen vorsichtigerweise einen Irrtum an und erklärten Vikings Entdeckung zu einem falschen positiven Befund. Aber war es das?

Die Auseinandersetzungen wüten weiter, aber die Ergebnisse von NASAs letzten Rovern zeigen, dass die Oberfläche des Mars in der Vergangenheit fast sicher feucht war und deshalb für Leben geeignet war. Und es gibt eine Menge weiterer Beweisstücke von dort, wo das eine herkam, sagt Levin. "Jede Mission zum Mars hat Beweisstücke erbracht, die meine Schlussfolgerung unterstützen. Keines hat ihr widersprochen."

Levin steht zu seiner Behauptung und er ist nicht länger allein. Joe Miller, ein Zellenbiologe an der Universität von Südkalifornien in Los Angeles, hat die Daten neu analysiert und er glaubt, dass die Ausstöße ein Beweis für einen “zirkadianischen“ Kreislauf sind. Das weist stark auf Leben hin.

Levin ersucht ESA und NASA darum, eine abgeänderte Ausführung seiner Mission zur Suche nach "chiralen" Molekülen zu fliegen. Diese gibt es als links- oder rechtsdrehende Ausführungen: Sie sind Spiegelbilder voneinander. Während biologische Vorgänge dazu neigen Moleküle herzustellen, die eine Chiralität der anderen vorziehen, erzeugen nichtlebende Vorgänge links- und rechtsdrehende in gleicher Anzahl. Wenn eine zukünftige Mission zum Mars herausfinden würde, dass der marsianische "Metabolismus“ auch eine chirale Form des einen Moleküls dem anderen vorzieht, wäre es das bislang beste Anzeichen für Leben auf dem Mars.

7 Tetraneutronen

VOR vier Jahren maß ein Teilchenbeschleuniger in Frankreich sechs Teilchen, die nicht existieren sollten. Sie werden Tetraneutronen genannt: Vier Neutronen, die auf eine Weise zusammengebunden sind, die den Gesetzen der Physik trotzt.

Francisco Miguel Marquès und Kollegen an dem Ganil Beschleuniger in Caen fahren nun die Geräte hoch, um das zu wiederholen. Wenn es ihnen gelingt, könnten uns diese Haufen zwingen, die Kräfte neu zu überdenken, welche die Atomkerne zusammenhalten.

Die Gruppe feuerte Berylliumkerne auf ein kleines Kohlenstoffziel und analysierten die Trümmer, die in die umgebenden Teilchendetektoren schossen. Sie erwarteten Beweise für vier getrennte Neutronen, die ihre Detektoren trafen. Stattdessen fand die Ganil Gruppe nur einen Lichtblitz in einem Detektor. Und die Energie von diesem Blitz deutete darauf hin, dass vier Neutronen zusammen im Detektor angekommen waren. Natürlich könnte ihre Entdeckung ein Unfall gewesen sein: Vier Neutronen hätten einfach durch Zufall zur selben Zeit am selben Ort ankommen können. Aber das ist wahnsinnig unwahrscheinlich.

Nicht so unwahrscheinlich wie Tetraneutronen, könnten manche sagen, weil in dem Standardmodell der Teilchenphysik Tetraneutronen einfach nicht existieren können. Gemäß dem Pauli Ausschlussprinzip können nicht einmal zwei Protonen oder Neutronen im gleichen System identische Quanteneigenschaften haben. Tatsächlich ist die starke nukleare Kraft die sie zusammenhalten würde auf eine solche Weise eingestellt, dass sie nicht einmal zwei einsame Neutronen zusammen halten könnte, ganz zu schweigen von vier. Marquès und seine Gruppe waren so verwirrt durch ihr Ergebnis, dass sie die Daten einem Forschungspapier vergruben, das vorgeblich die Möglichkeit beschrieb, Tetraneutronen zukünftig zu finden (Physical Review C, Bd. 65, S. 44006).

Und es gibt da noch zwingendere Gründe die Existenz von Tetraneutronen zu bezweifeln. Wenn man die Gesetze der Physik so abändert, dass man es vier Neutronen erlaubt sich zu verbinden, ergeben sich daraus alle Arten von Chaos (Journal of Physics G, Bd. 29, L9). Es würde bedeuten, dass das Gemisch der Elemente, das sich nach dem Urknall formte, unvereinbar ist mit dem, das wir jetzt beobachten und noch schlimmer, die Elemente, die sich nach dem Urknall formten, würden schnell viel zu schwer werden, als dass der Kosmos damit fertig werden könnte. "Vielleicht wäre das Universum zusammengestürzt, bevor es eine Chance hatte sich auszudehnen," sagt Natalia Timofeyuk, eine Theoretikerin an der Universität von Surrey in Guildford, UK.

Es gibt jedoch ein paar Lücken in dieser Argumentation. Bestehende Theorien erlauben es dem Tetraneutron zu existieren – doch nur als lächerlich kurzlebiges Teilchen. "Das könnte ein Grund sein, warum vier Neutronen den Ganil Detektor gleichzeitig trafen," sagt Timofeyuk. Und es gibt andere Beweise, welche die Idee von Materie unterstützen, die aus mehrfachen Neutronen zusammengesetzt ist: Neutronensterne. Diese Himmelskörper, die eine enorme Zahl an verbundenen Neutronen beinhalten, weisen darauf hin, dass bis jetzt unerklärte Kräfte ins Spiel kommen, wenn Neutronen sich en masse versammeln.

8 Die Pioneer Anomalie

DIES ist die Geschichte zweier Raumschiffe. Pioneer 10 wurde 1972 gestartet, Pioneer 11 ein Jahr später. Mittlerweile sollten beide Schiffe von keinem beachtet in die Tiefen des Raums treiben. Jedoch haben sich ihre Flugbahnen als viel zu faszinierend erwiesen, um sie zu ignorieren.

Das ist so, weil etwas an ihnen gezogen – oder geschoben – hat, was bei ihnen eine Beschleunigung verursacht. Die sich daraus ergebende Beschleunigung ist winzig, weniger als ein Nanometer pro Sekundenquadrat. Das ist gleichwertig mit nur einem Zehnmilliardstel der Schwerkraft an der Oberfläche der Erde, aber es ist genug, um Pioneer 10 etwa 400.000 Kilometer aus der Bahn zu werfen. NASA verlor 1995 den Kontakt mit Pioneer 11, aber bis zu der Zeit erfuhr sie genau die gleiche Abweichung wie ihre Schwestersonde. Also, was verursacht das?

Niemand weiß es. Einige mögliche Erklärungen wurden bereits ausgeschlossen, einschließlich Softwarefehlern, Sonnenwind und einem Treibstoffleck. Wenn die Ursache ein Effekt der Schwerkraft ist, dann ist es keiner von dem wir etwas wissen. Tatsächlich sind Physiker so vollständig in Verlegenheit, dass einige soweit gegangen sind, dass sie dieses Rätsel mit anderen unerklärlichen Phänomenen verbunden haben.

Bruce Bassett von der Universität von Portsmouth, UK, hat angeregt, dass die Pioneer Frage etwas zu tun hat mit der Schwankung von Alpha, der Feinstrukturkonstante (siehe unten "Nicht so konstante Konstanten"). Andere haben davon geredet, dass es aus der dunklen Materie hervorgeht – aber weil wir nicht wissen, was dunkle Materie ist, hilft das auch nicht viel weiter. "Das ist alles so unerträglich faszinierend," sagt Michael Martin Nieto vom Nationalen Labor in Los Alamos. "Wir haben nur Vorschläge, von denen keiner bewiesen wurde."

Nieto hat zu einer neuen Analyse der frühen Flugbahndaten vom Schiff aufgerufen, die, so sagt er, frische Einsichten liefern könnten. Aber um zum Grunde des Problems zu gelangen, brauchen Wissenschaftler, eine Mission, die speziell dafür entworfen ist, ungewöhnliche Schwerkrafteffekte in den fernsten Gebieten des Sonnensystems zu testen. Solch eine Sonde würde zwischen 300 und 500 Millionen $ kosten und könnte bei einer zukünftigen Mission zu den fernsten Gebieten des Sonnensystems huckepack mitfliegen (www.arxiv.org/gr-qc/0411077).

"Eine Erklärung wird schlussendlich gefunden werden," sagt Nieto. "Natürlich hoffe ich, dass es wegen neuer Physik ist – wie phantastisch würde das sein. Aber sobald ein Physiker anfängt auf der Grundlage der Hoffnung zu arbeiten, steuert er auf einen Absturz zu." So enttäuschend es auch erscheint, Nieto denkt, dass die Erklärung für die Pioneer Anomalie schließlich bei einem alltäglichen Effekt gefunden wird, zum Beispiel einer unbemerkten Hitzequelle an Bord des Schiffs.

9 Dunkle Energie

ES IST eins der berühmtesten und beschämendsten Probleme der Physik. Im Jahre 1998 entdeckten Astronomen, dass das Universum sich mit einer immer schneller werdenden Geschwindigkeit ausdehnt. Es ist ein Effekt, der immer noch eine Ursache sucht – bis dahin dachte jeder, dass sich die Ausdehnung des Universums nach dem Urknall verlangsamte. "Theoretiker kommen immer noch ins Schwimmen auf der Suche nach einer vernünftigen Erklärung," sagt Kosmologin Katherine Freese von der Universität von Michigan, Ann Arbor. "Wir alle hoffen, dass bevorstehende Beobachtungen von Supernovas, von Galaxienhaufen und so weiter uns weitere Hinweise gibt."

Ein Vorschlag ist, dass eine Eigenschaft des leeren Raums verantwortlich ist – Kosmologen nennen es dunkle Energie. Aber alle Versuche das festzunageln sind bedauerlicherweise daneben gegangen. Es ist auch möglich, dass Einsteins allgemeine Relativitätstheorie abgewandelt werden muss, wenn sie auf die größten Maßstäbe des Universums angewendet wird. "Das Gebiet ist immer noch weit offen [für Vorschläge]," sagt Freese.

10 Die Kuiperklippe

WENN SIE raus zum fernen Rand des Sonnensystems reisen, in die frostigen Einöden jenseits des Pluto, sehen sie etwas Seltsames. Plötzlich, nachdem sie den Kuipergürtel passiert haben, eine Region des Raums in dem es vor eisigen Felsen wimmelt, ist nichts mehr da.

Astronomen nennen diese Grenze die Kuiperklippe, weil die Dichte der Felsen im Raum so steil abfällt. Was verursachte es? Die einzige Antwort scheint ein zehnter Planet zu sein. Wir reden hier nicht über Quaoar oder Sedna: Es geht um ein massives Objekt, so groß wie Erde oder Mars, welches das Gebiet von Trümmern freigeräumt hat.

Die Beweislage für die Existenz von "Planet X" ist zwingend, sagt Alan Stern, ein Astronom am Southwest Forschungsinstitut in Boulder, Colorado. Aber obwohl Berechnungen zeigen, dass solch ein Körper die Kuiperklippe begründen könnte (Icarus, Bd. 160, S. 32), hat keiner jemals diesen sagenhaften Planeten gesehen.

Es gibt einen Grund dafür. Der Kuipergürtel ist für uns einfach zu weit entfernt, als dass wir eine gute Sicht bekommen. Wir müssen da raus gehen und einen Blick darauf werfen, bevor wir etwas über die Region sagen können. Und das wird mindestens für ein weiteres Jahrzehnt nicht möglich sein. NASAs New Horizons Sonde, die zum Pluto und dem Kuipergürtel steuern wird, ist für einen Start im Januar 2006 angesetzt. Sie wird Pluto bis 2015 nicht erreichen, also wenn sie nach einer Erklärung für den weiten leeren Abgrund der Kuiperklippe suchen, halten sie diesen Platz im Auge.

11 Das Wow-Signal

ES WAR 37 Sekunden lang und kam aus dem Weltraum. Am 15. August 1977 veranlasste es Astronom Jerry Ehman, damals an der Ohio Bundesstaatsuniversität in Columbus, "Wow!" auf den Ausdruck von Big Ear, dem Universitäts-Radioteleskop in Delaware zu kritzeln. Und 28 Jahre später weiß keiner, was das Signal erschaffen hat. "Ich warte immer noch auf eine endgültige Erklärung, die Sinn macht," sagt Ehman.

Aus der Richtung von Sagittarius kommend, war die Strahlung beschränkt auf einen engen Bereich von Radiofrequenzen um 1420 Megahertz. Diese Frequenz ist in einem Teil des Radiospektrums, in dem alle Übertragungen durch internationale Vereinbarung untersagt sind. Natürliche Strahlungsquellen, wie die Wärmeausstrahlungen von Planeten verbreiten sich gewöhnlich über einen viel breiteren Bereich von Frequenzen. Also, was hat es verursacht?

Der nächste Stern in dieser Richtung ist 220 Lichtjahre entfernt. Wenn es von dort herkam, müsste es ein ganz schön starkes kosmisches Ereignis gewesen sein – oder eine fortgeschrittene außerirdische Zivilisation, die einen erstaunlich großen und starken Sender benutzt.

Die Tatsache, dass Hunderte von Abtastungen des gleichen Flecken Himmels nichts dem Wow-Signal ähnliches gefunden haben, bedeutet nicht, dass es nicht Außerirdische sind. Wenn Sie die Tatsache bedenken, dass das Big Ear Teleskop nur ein Millionstel des Himmels auf einmal abdeckt und ein außerirdischer Sender wahrscheinlich auch nur über den selben Bruchteil des Himmels ausstrahlen, sind die Chancen das Signal wieder zu entdecken, gelinde gesagt, gering.

Andere denken, dass es eine alltägliche Erklärung geben muss. Dan Wertheimer, Hauptwissenschaftler für das SETI@home Projekt, sagt, das Wow-Signal war fast sicher Verschmutzung: Radiofrequenzstörung von auf der Erde kommenden Übertragungen. "Wir haben viele Signale wie dieses gesehen und diese Art von Signal stellt sich immer als Störung heraus," sagt er. Die Debatte wird fortgesetzt.

12 Nicht so konstante Konstanten

IM JAHRE 1997 analysierten der Astronom John Webb und seine Gruppe an der Universität von New South Wales in Sydney das Licht, das die Erde von weit entfernten Quasaren erreicht. Auf seiner 12-Milliarden-Jahres-Reise war das Licht durch interstellare Wollen aus Metallen wie Eisen, Nickel und Chrom gegangen und die Forscher fanden heraus, dass diese Atome einige der Photonen des Quasarlichts absorbiert hatten – aber nicht diejenigen, die sie erwarteten.

Wenn die Beobachtungen richtig sind, ist die einzige vage vernünftige Erklärung, dass eine Konstante der Physik namens Feinstrukturkonstante, oder Alpha, in der Zeit, zu der das Licht durch die Wolken gegangen ist, einen anderen Wert hatte.

Aber das ist Ketzerei. Alpha ist eine äußerst wichtige Konstante, die bestimmt, wie Licht und Materie aufeinander einwirken – und sie sollte nicht fähig sein, sich zu verändern. Ihr Wert hängt, unter anderem, ab von der Ladung des Elektrons, der Lichtgeschwindigkeit und Plancks Konstante. Könnte sich eine von diesen wirklich verändert haben?

Niemand in der Physik wollte den Messungen glauben. Webb und seine Gruppe haben seit Jahren versucht einen Fehler in ihren Ergebnissen zu finden. Aber bislang sind sie daran gescheitert.

Webbs Ergebnisse sind nicht die einzigen, die darauf hindeuten, dass uns etwas für das Verständnis von Alpha fehlt. Eine kürzliche Analyse des einzigen bekannten natürlichen Atomreaktors, der vor beinahe 2 Milliarden Jahren dort aktiv war, wo heute Oklo in Gabun liegt, deutet auch darauf hin, das sich etwas in der Wechselwirkung zwischen Licht und Materie verändert hat.

Das Verhältnis von gewissen Radioaktiven Isotopen die innerhalb eines solchen Reaktors erzeugt werden, hängen von Alpha ab und so liefert das Suchen nach den Spaltungsprodukten, die im Boden bei Oklo zurückgelassen wurden, eine Methode den Wert der Konstante zur Zeit seiner Formation zu errechnen. Unter Benutzung dieser Methode folgern Steve Lamoreaux und seine Kollegen an dem Los Alamos Nationallabor in New Mexico, dass Alpha um mehr als 4 Prozent abgenommen haben könnte, seitdem Oklo ansprang (Physical Review D, Bd. 69, S. 121701).

Es gibt Neinsager, die immer noch jede Veränderung von Alpha bezweifeln. Patrick Petitjean, ein Astronom an dem Institut für Astrophysik in Paris, leitete eine Gruppe, die Quasarlicht analysierte, das von dem Sehr Großen Teleskop (Very Large Telescope – VLT1) in Chile aufgefangen wurde und fand keine Beweise, dass Alpha sich geändert hat. Aber Webb, der sich jetzt die VLT Messungen ansieht, sagt dass sie eine vielschichtigere Analyse benötigen, als sie Petitjeans Team ausgeführt hat. Webbs Gruppe arbeitet jetzt daran und könnte später in diesem Jahr in der Lage sein, die Anomalie für gelöst zu erklären – oder nicht.

"Es ist schwierig zu sagen, wie lange es dauern wird," sagt Teammitglied Michael Murphy von der Universität von Cambridge. "Je mehr wir uns diese neuen Daten ansehen, desto mehr Schwierigkeiten sehen wir." Aber was auch immer die Antwort ist, die Arbeit wird immer noch wertvoll sein. Eine Analyse der Art, wie Licht durch weit entfernte molekulare Wolken passiert, wird mehr darüber enthüllen, wie die Elemente in der frühen Geschichte des Universums erzeugt wurden.

13 Kalte Fusion

NACH 16 Jahren ist sie zurück. Tatsächlich ging die kalte Fusion nie weg. Über einen 10-Jahres Zeitraum von 1989 an führten US Navy Labore mehr als 200 Experimente aus, um zu untersuchen, ob nukleare Reaktionen, die mehr Energie erzeugen können als sie verbrauchen – angeblich nur innerhalb von Sternen möglich – bei Zimmertemperaturen vorkommen können. Zahlreiche Forscher haben sich seitdem zu Gläubigen erklärt.

Mit kontrollierbarer kalter Fusion würden viele der Energieprobleme der Welt davon schmelzen: Kein Wunder, dass die US Energiebehörde interessiert ist. Im Dezember, nach einer ermüdend langen Überprüfung des Beweismaterials, sagte sie, sie wäre offen für das Erhalten von Vorschlägen für neue Experimente mit kalter Fusion.

Das ist eine ziemliche Wende. Der erste Bericht der Behörde über das Thema, vor 15 Jahren veröffentlicht, kam zu dem Schluss, dass die ursprünglichen Resultate über Kalte Fusion, veröffentlicht von Martin Fleischmann und Stanley Pons von der Universität von Utah, enthüllt bei einer Pressekonferenz im Jahre 1989, unmöglich reproduzierbar und daher wahrscheinlich falsch waren.

Die grundlegende Behauptung von kalter Fusion ist, dass das Eintunken von Palladiumelektroden in schweres Wasser – in dem Sauerstoff mit dem Wasserstoffisotop Deuterium verbunden ist – eine große Menge von Energie freigeben kann. Eine Spannung über die Elektroden zu legen erlaubt angeblich den Deuteriumkernen sich in das molekulare Gitter des Palladiums zu bewegen, was sie befähigt ihre natürliche Abstoßung zu überwinden, zusammenzuschmelzen und dabei einen Energiestoß loszulassen. Der Haken ist, dass Fusion bei Zimmertemperatur von jeder akzeptierten wissenschaftlichen Theorie als unmöglich erachtet wird.

Das macht nichts, gemäß David Nagel, einem Ingenieur an der George Washington Universität in Washington DC. Supraleiter zu erklären dauerte 40 Jahre, unterstreicht er, also gibt es keinen Grund kalte Fusion von der Hand zu weisen. "Der experimentelle Beweis ist felsenfest2," sagt er. "Man kann ihn nicht zwingen zu verschwinden."

  • 19. März 2005
  • NewScientist.com news service
  • Michael Brooks
  • Übersetzung Ulf Böhnke
1Anm. d. Ü.: Was ist los mit diesen Astronomen? Haben die überhaupt keine Phantasie mehr? Sehr Großes Teleskop. Oh, Mann.
2kugelsicher im Original.

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