Marokko 2002    

 

Donnerstag  12 .12 .2002, Zagora : Nach 2 Tagen Wuestenpiste zurueck in der Zivilisation . Verdurstet sind wir nicht, nur fast ertrunken. Aber der Reihe nach: Montag Abflug Muenchen 8 Uhr 30 –6 Grad, Ankunft Agadir 12 Uhr 30 Ortszeit 21 Grad. Unter den staunenden Augen der Pauschaltouristen und des marokkanischen Jetsets bauen wir noch im Flughafengebaeude unsere Fahrraeder zusammen. Sehr zum Aerger der Taxifahrer radeln wir los Richtung Inezgane, dem grossen Busbahnhof vor den Toren Agadirs. Wir hoffen trotz unsres verspaeteten Abflugs noch eine MFG Richtung Atlas zu bekommen. Es steht tatsaechlich ein alter Reisebus bereit der ueber Ouarzazate nach Zagora faehrt. Unser Ziel Tazenakht liegt auf der Strecke. Fuer die 260 km bezahlen wir 80 DH, etwa 8 Euro, die Raeder verschwinden auf dem Dach. Abfahrt puenktlich 15 Uhr 30, fuer afrikanische Verhaeltnisse komfortabel, zunaechst 100 km durch die Sousse-Ebene, Zitrusplantagen, Folientunnel mit Bananenkulturen, Neubausiedlungen. Immer wieder wird angehalten, neue Passagiere aufgelesen, oder es klatscht jemand in die Haende und will aussteigen. Mit Einbruch der Dunkelheit beginnt die Strasse sich den Atlas hinaufzuwinden. 21 Uhr 30 erreichen wir endlich unser Ziel Tazenakht 1400 m ueber dem Meer, die Temperatur naehert sich dem Gefrierpunkt. Ein kleines Hotel hat noch auf, wir werden sehr freundlich empfangen und beziehen ein schoenes, sauberes Zimmer fuer etwa 6 Euro pro Nase. Nachdem wir seit 4 Uhr auf den Beinen sind, fallen wir todmuede ins Bett.

 

Morgens weckt uns strahlender Sonnenschein, aber es ist bitter kalt. Nach einem fuerstlichen Fruehstueck radeln wir los Richtung Sueden. Unser Ziel Foum Zguid liegt am Ende der 90 km langen Asphaltstrasse und am Rand der Sahara. Sie windet sich abwaerts durch ein immer breiter werdendes Tal, der Fluss ist ausgetrocknet, Schaeden vergangener Unwetter noch sichtbar. Immer wieder passieren wir kleinere Oasen, Lehmziegeldoerfer, die Leute laufen von den Feldern zur Strasse um uns zu begruessen. Den ganzen Tag begegnen uns keine 10 Autos. Mittagspause an einem Wasserbecken mit Blick auf ein Dorf mit Kasbah (Speicherburg aus Lehm), die Frauen waschen singend die Waesche.

Am spaeten Nachmittag erreichen wir Foum Zguid, ein nettes Staedtchen am Ende der Welt. Von hier aus gehts nur noch auf Pisten weiter. Das Hotel im Zentrum ist einfachst, aber die Zimmer fuer 3 Euro pro Person sind sauber und es gibt warmes Wasser. Abendessen unter Tamarisken, Tajine marokkanischer Eintopf.

Im Freien gefruehstueckt, dann die letzten Vorraete einkaufen fuer unseren Pistentrip. Fladenbrote, Obst, Joghurt, La Vache qui Rit (Schmelzkaeseecken) fuer 2 Tage, zusammen nicht mal 2 Euro, dazu 12 l Wasser. Vor uns liegen 120 km Piste bis Zagora, wovon uns die Polizei abhalten will. Die Strecke sei mit dem Rad nicht befahrbar, aus dem Internet wissen wir aber Gegenteiliges. Nach schoenen 20 km wirds eine ueble Schuettelpartie. Rechts und links ein Gebirgszug, dazwischen eine bis zu 5 km breite Ebene, endlose Steinwueste.

Hin und wieder eine Oase, in einiger Entfernung zur Piste auch Beduinenzelte. Haeufig werden wir zum Tee eingeladen, dazu Fladenbrot und Olivenoel zum Tunken. Bei Einbruch der Dunkelheit bauen wir in den Sanduenen unser Zelt auf. Kurz bevor wir einschlafen ueberrascht uns ein Platzregen, weder das Zelt noch unser Gepaeck hatten wir regenfest verstaut, wir sind ja schliesslich in der Sahara. Als alles im Trocken ist und wir wieder im Schlafsack liegen geht die Katastrophe erst richtig los, ein Bach bahnt sich seinen Weg mitten durch unser Zelt, innerhalb kuerzester Zeit steht es einen halben Meter unter Wasser. Wegen des Winds hatten wir es in einer Senke zwischen den Duenen aufgebaut, dort fliesst jetzt das ganze Wasser ab. Wir retten was zu retten ist, sammeln alles auf einer Duene, fast die komplette Ausruestung ist nass. Nicht umsonst heisst es, dass in der Wueste mehr Leute ertrinken als verdursten. Siggi vermisst einige Teile, u.a. einen Schuh und seinen Geldbeutel. Es folgt eine ungemuetliche, nicht enden wollende Nacht in Siggis Biwaksack. Am naechsten Morgen Saharawetter, wir trocknen unsere Sachen, befreien sie vom Schlamm, selbst Verlorengeglaubtes laesst sich in einigen hundert Metern Entfernung wieder finden.

Bei einer nahegelegenen kleinen Siedlung fuellen wir Wasser auf. Einladung zum Tee, immer die gleiche Zeremonie: In die Teekanne kommt ein grosser Brocken Zucker, anschliessend wird der Pfefferminztee elegant aus grosser Hoehe in ein kleines Glas gegossen, von dort wieder zurueck in die Kanne. Das wiederholt sich bis die richtige Suesse erreicht ist. Der Raum (=Wohn+Schlafzimmer) ist nur mit Teppichen ausgelegt, keine Moebel, ausser dem kleinen Tisch auf dem der Tee serviert wird. Die Familie spricht etwas Deutsch, es stellt sich heraus, dass hier vor Jahren mal im Rahmen eines GTZ Projekts einen Tiefbrunnen gebohrte wurde, um die Gegend zu rekultivieren. Mangels Ergiebigkeit des Brunnens verlief sich die Sache im Sande. Der Rest der Piste ist gut, fester Sand, selten Wellblech, mit Rueckenwind rasen wir Richtung Zagora.

Freitag  13 .12 .2002, Zagora : Heute regnet in der Oase Zagora zum ersten Mal seit 5 Jahren, so dass wir beschliessen den Tag hier zu verbringen. Wir haben uns `Chez Ali´ eingemietet und das erleichtert uns die Entscheidung Auszuruhen. Die Zimmer seines Hotels sind alle zu einem wunderschoenen Garten hin ausgerichtet und Ali ist super-nett. Zagora ist idyllisch gelegen am Ende Draa-Tals, der groesste immer wasserfuehrende Fluss Marokkos. Er fliesst vom Hohen Atlas kommend Richtung Sueden und versickert bzw verdunstet meist auf der Hoehe von Zagora in der Sahara. Der Ort ist Ausgangspunkt fuer den Saharatourismus, etwas nervend wenn man das Land gerade einige Tage ohne Touristen erlebt hat. Wir trinken literweise Tee, was aber meist in Verkaufsgespraechen mit Souvenierhaendlern endet. Aber auch die possitiven Erfahrungen bleiben nicht aus. Verlaufen in den engen Gassen eines ganz aus Lehm gebauten Wohnviertels, landen wir im Wohnzimmer einer Familie, natuerlich zum Whisky Bérbèr (Pfefferminztee).

Die Freundlichkeit der Leute ist immer wieder ueberwaeltigend. Am Abend sind wir im ganzen Ort bekannt, jeder weiss, dass `Ali Baba` (so wird Siggi wg seines Bartes gerufen) sein Fahrrad verkaufen will. Es gaebe ein gutes Dutzend potentieller Kaeufer, und er haette locker das Doppelte von den ausgehandelten 50 Euro erzielen koennen. Morgen frueh wird er den Deal abwickeln, und dann ueber Ouarzazate per Taxi-Brousse zurueck zum Flughafen Agadir fahren. Ich werde das Draa-Tal Richtung Norden radeln und dann je nach Wetter entscheiden ob ich ueber den Atlas Richtung Marrakesch oder Richtung Osten in das Oasengebiet Tafilalt fahre. Abends kommt Siggi noch zu seiner ersten Cous-Cous-Erfahrung: Ali, unser Hotelier, bedankt sich damit fuer den geliehenen Reisefuehrer, den er kopieren wollte.

Montag 16 .12 .2002, Tinerhir: Nach 3 Tagen endlich wieder ein Internetzugang. Samstag-Morgen noch die letzten Sachen in der Sonne trocknen, Siggi verkauft sein Fahrrad. Wir begleichen unsere Rechnung bei Ali : 250 DH (etwa 25 Euro) pro Person fuer 2 Naechte reichliches Fruehstueck, Abendessen, warme Dusche und eine unuebertroffene Freundlichkeit. ‘Chez Ali’ kann man auf jedenfall weiterempfehlen (der Tip war von Erika Daerr, Reise Know How). Ich bringe Siggi noch zum Gare Routiere (Bus-Bahnhof), er will heute noch bis Ouarzazate und von dort morgen weiter nach Agadir. Sein Grand Taxi ist stilecht ein Peugeot 504 familiale, das Afrika-Auto. Peugeot 504/505 verkehren zwischen den groesseren Orten und fahren los wenn sie voll sind, in Marokko heisst das 7 Personen, welche ein Luxus fuer afrikanische Verhaeltnisse. In der naeheren Umgebung der Staedte fahren als Grand-Taxi meist Mercedes  /8 oder W 123, seltener Opel Rekord. Petit Taxi verkehren in der Stadt, manchmal sieht man noch den R4, meist aber franzoesische Kleinwagen neueren Baujahrs.

Gegen Mittag fahre ich los Richtung Norden, immer dem Draa-Tal folgend, das  sich als gruenes Band zwischen zwei kahlen Gebirgszuegen entlangzieht. Ich befinde mich auf der suedlichen Strasse der Kasbahs, der Speicherburgen aus Lehm. Fast in jedem Dorf sind jetzt solche traditionellen Bauten zu sehen. Das Vorhaben eine solche Kasbah von innen zu besichtigen, breche ich nach dem 3. Versuch entnervt ab. An Touristen gewoehnt habe ich immer eine Menschentraube um mich, bestehend aus Moechtegern-Fuehrern und Kindern die nach Bonbons und Kugelschreibern schreien. Manchmal schaffe ich es noch unentdeckt in eine Gasse der Lehm-Doerfer abzubiegen und ein paar Bilder zu machen, bevor ich entdeckt werde und die Flucht ergreife. Das Wetter wird zunehmend besser, die Sonne setzt sich durch. Ich radle noch bis kurz bevor die Strasse nach Osten abzweigt. Das neue Hotel das ich beziehe ist bis auf die Aussicht aufs Vallée de Draa eine Enttaeuschung, das Zimmer ist eher eine schmutzige Abstellkammer, Bad und WC nur auf Zehenspitzen zu betreten, das Abendessen (Tajine) geniessbar, zum Fruehstueck altes Brot und keine Butter. Fuer 50 DH waere das oK, ich muss aber 150 DH (15 Euro) dafuer berappen.

Am naechsten Morgen verlasse ich diesen ungemuetlichen Ort ziemlich schnell, wieder blauer Himmel. Ich lasse das Draa-Tal links liegen und fahre Richtung Osten. Die Strasse steigt langsam und ist gut asphaltiert. Waehrend mir gestern noch alle 5 Minuten ein Auto begegnet ist, dauert es jetzt eine halbe Stunde bis ich wieder von Dieselabgasen (wieso erinnert mich das nur so an die Arbeit?) umgeben bin. Gegen Mittag erreiche ich Nekob, es ist Markttag, alles ist auf den Beinen, viele Berber aus den umliegenden Doerfern in traditioneller Kleidung. Die Haendler fahren Ford Transit oder Mercedes 207, hierher werden also unsere Altautos entsorgt. Auf dem Markt Bilder zu machen ist schwierig, manchmal schiesse ich aus der Huefte. Oder setze mich in eine Ecke, tue als ob ich etwas trinke, nach 10 min hat auch der letzte das Interesse an mir verloren, dann zuecke ich blitzschnell die Kamera, fahre das Tele aus … . Weiter gehts durch karge Gebirgslandschaft, nur hin und wieder in Talsenken kleinere Oasen, denen man den Wassermangel der letzten Jahre ansieht. Tazzarine erreiche ich am fruehen Nachmittag, es gibt zwar Uebernachtungsmoeglichkeiten, aber es ist noch zu frueh zum Halten. Ich fahre weiter, die Landschaft aendert sich, rot gefaerbte Schotterebenen leuchten in der Abendsonne, hin und wieder Lehmziegeldoerfer, optimale Bedingungen zum Fotografieren. Die Leute sind freundlich, laden zum Tee, aber ich will noch ein Stueck weiter kommen. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit nach 120 km schlage ich mein Zelt auf, etwas abseits der Strasse, steiniger Boden. Eine Gemuesesuppe vom Esbitkocher, Fladenbrot, Avokado und Wasser, dann beobachte ich aus dem Schlafsack die Sterne. Einen so klaren Himmel habe ich in Deutschland noch nie gesehen.  

Morgens weckt mich eine Herde Ziegen, die zum Weiden hierher getrieben wurde. Es gibt hier eigentlich nur Steine, trotzdem finden sie was zu Fressen,  klettern auch auf die stacheligen Akazien. Auf den ersten Kilometern blockiert eine Gruppe Dromedars die Strasse, Hupkonzert, mich lassen sie durch. Noch am Vormittag erreiche ich Alnif, auch dort ist wieder Markttag, gleiche Szenerie wie gestern, ich decke mich mit Vorraeten ein.

Es liegen 47 km Piste vor mir und ich weiss nichts ueber Zustand und zu ueberwindende Hoehendifferenz sind. Ich ueberquere den Jebel Sarhro, so aehnlich stelle ich mir Arizona vor, rotes, stark erodiertes Gestein, Tafelberge umgeben von Schotterebenen. Die Piste windet sich langsam von 800 auf 1200 m ueber dem Meer, ich komme gut voran. Immer wieder Doerfer, die Vorraete haette ich mir sparen koennen, dafuer findet meine Tuete Bonbons reissenden Absatz. Kaum naehere ich mich einem Dorf schreit es aus jeder Ecke ‘Donne-moi un stylo’, ‘Donne-moi un bonbon’ und was die Kinder sonst noch alles wollen. In dem eben noch menschenleeren Dorf, sammelt sich die Dorfjugend um mich und ich komme kaum mit dem verteilen hinterher. Kurz vor dem Pass ueberholen mich noch 2 Jeeps mit Touristen, die einzigen die ich in den letzten 2 Tagen gesehen habe, spaeter noch ein Taxi-Brousse.

Gegen 17 Uhr habe ich wieder Asphalt unter den Raedern und fahre Richtung Tinerhir. In Ait Aissa fallen die vielen Neubauten entlang der Strasse auf, an der Oase kanns nicht liegen, der fehlt merklich das Wasser. Auf meine Nachfrage erfahre ich, dass das halbe Dorf in Monpellier / Frankreich arbeitet. Tinerhir erreiche ich kurz vor Einbruch der Dunkelheit nach 100 km, es ist der groesste und geschaeftigste Ort seit ich Agadir verlassen habe. Dank Erika Daerr komme ich zielsicher zum Hotel El Fath, es ist einfach , sauber, preisguenstig (3 Euro). Das Essen  auf der Terasse ist auch gut, Brochettes mit Gemuese, dazu Frites. Den Rest des Abends verbringe ich im Internet-Café.

Mittwoch 18 .12 .2002, Ouarzazate: War das ein ekliger Tag heute, Dauerregen (der erste seit 3 Jahren in dieser Gegend) und vielleicht 12 Grad. Schon gestern frueh in Tinerhir wars mit dem schoenen Sahara-Wetter zu Ende, grauer Himmel. Morgens besichtige ich noch schnell die sehr gut erhaltene Altstadt mit vielen Kasbahs, noch bevor die ganzen Nervensaegen (Kinder, Souvenirhaendler und selbsternannte Touristenfuehrer) wach sind. Von Tinerhir geht’s zunaechst hinauf auf ein ziemlich oedes Plateau, dort angekommen blaest sofort ein starker Westwind entgegen. Das heisst nichts Gutes, zum einen Wetterverschlechterung, zum anderen ein ziemlich anstrengender Tag. Der Gegenwind treibt mich fast zur Verzweiflung, oft muss ich kaempfen um ueberhaupt mit 10 km/h vorwaerts zu kommen. Die Landschaft ist auch nicht sehr abwechslungsreich, bis auf einen gelegentlichen Blick auf den verschneiten Hohen Atlas, wenn die Wolken aufreissen. Ich brauche fast 5 h fuer die 53 km nach Boumalne, dafuer entschaedigt der Blick vom Plateau auf die im Dadestal liegende Stadt.

Auch hier alles sehr touristisch, obwohl mir ausser 2 Franzosen niemand begegnet, nur hin und wieder auf der Strasse die Touristen-Jeeps. Wieder finde ich dank Erika Daerr auf Anhieb das Hotel Bougafer. Die neuste Ausgabe ihres Reisefuehrers ist erst einige Monate alt, so dass auch Details stimmen, wie Preis, warme Dusche, frische Bettwaesche, usw. Fuer umgerechnet 3 Euro beziehe ich ein kleines verwinkeltes Zimmer in dem urigen Hotel. Von der Dachterasse hat man einen schoenen Blick auf den Busbahnhof und Richtung Markt. Weil es erst in 2 h dunkel wird  fahre ich noch 15 km die Dades-Schlucht hinauf, zuerst muss ich mir aber den Weg durch die guides (Fuehrer) bahnen, die vor dem Hotel auf mich warten. Die Schlucht zieht sich als gruenes, terassiertes Band zwischen roten Felsen Richtung Atlas. Wg der Hoehenlage dominiert hier nicht mehr die Dattelpalme sondern die Olive die Fluss-Oasen, dazu Obstbaeume, Mimosen, Pappeln, Gemuese, Weizen und Luzerne. Ausserdem gibts jede Menge gut erhaltener Kasbahs in exponierter Lage. Auf Pisten koennte man der Schlucht noch 70 km weit folgen was ich mir aber erspare. Abends esse ich auswaerts, Erika Daerr raet von dem Essen im Bougafer ab. Auf einer Dachterasse unterm Nomadenzelt waehle ich mal wieder Tajine. Besonders vielfaeltig ist die marokkanische Kueche nicht. Cous-Cous gibt’s meist nur ‚sur commande’, weils so lange im Dampf gegart werden muss. Bleiben nur Brochettes oder Tajine. Letztere wird auf einem Keramikteller direkt ueberm Holzkohlefeuer zubereitet. Auf dem Teller (sieht aus wie ein Blumentopf-Untersetzer) wird etwas Fleisch, Gemuese, Kartoffeln und Oliven angehaeuft und mit einem spitzhaubigen Keramikdeckel ca 30 min gegart. Da die Zutaten je nach Region und Saison variieren, isst man nicht immer das gleiche.

Am naechsten Morgen beginnt es puenktlich mit der Abfahrt zu regnen. Ich fahre das Dades-Tal hinunter, die noerdliche Strasse der Kasbahs, eine der Haupttouristen-Attraktionen Marokkos. Aber fuer Kasbahs hab ich heute keinen Blick, habe sowieso schon genug gesehen. Achte nur auf den Tacho und die Kilometersteine. Als ich gleichmaessig nass bin finde ich langsam meinen Rhythmus und fahre die 120 km bis Ouarzazate fast an einem Stueck durch, unterbrochen nur durch einen Hungerast, der mit Kuchen und Joghurt bekaempft wird. Ich treffe noch ein englisches Paerchen auf Fahrraedern, sie kommen von Marrakesch und geben mir Tips fuer die Route. Ouarzazate ist die sauberste Stadt die ich bisher in Marokko gesehen habe, es gibt sogar in den Aussenbezirken richtige, gepflasterte Buergersteige. Es hat zwar keine nennenswerten Sehenswuerdigkeiten, aber hier kreuzen sich die Nord-Sued-Achse Marrakech-Vallée de Draa und die Ost-West-Achse Agadir-Merzouga, so dass der Tourismus boomt. Mir ist aber alles etwas zu steril. Nehme das erstbeste Hotel mit warmer Dusche, verkrieche mich in den Schlafsack und waerme mich mit einer Suppe auf. Kann mich spaeter doch noch ins Internet-Café aufraffen, hier trocknet auch mein einziger langaermliger Pullover besser als im engen Zimmer. Vor mir liegen jetzt noch gut 200 km bis Marrakech, dazwischen allerdings der 2260 m hohe Tizi’n’Tichka, auf dem vermutlich Schnee liegt. Das muesste  in 2 Tagen zu schaffen sein, dann melde ich mich wieder.

Samstag 21.12.2002, Marrakech: Einen Tag spaeter als erhofft habe ich die Millionen-Metropole Marrakech erreicht. Meine Tour ist hier zu Ende, der Kilometerzaehler zeigt 960 km. In Marrakech und spaeter in Agadir werde ich die Tausend noch vollkriegen. Vorgestern in Ouarzazate (1160 m ue. M) wollte ich schon aufgeben, 6° C und Regenschauer, das haette ich in Deutschland auch haben koennen. Aber noch im Laufe des Vormittags reisst die Wolkendecke auf und ich entscheide mich fuer die Pistenvariante ueber Ait Benhaddou und Telouèt hinauf auf den Tizi’n’Tichka. Ait Benhaddou ist die imposanteste Lehmfestung Marokkos, UNESCO-Weltkulturerbe, ich schaue sie mir aber nur aus einiger Entfernung von einem Huegel aus an. Die mit jedem Touristenfahrzeug heraneilende Menge an Touristenfuehrern und Schleppern schreckt mich ab.

Kurz nach der Festung beginnt der 30 km lange Pistenabschnitt gleich mal mit nassen Fuessen. Der Fluss dem die Piste folgt, muss insgesamt viermal knietief durchwatet werden. Jedesmal die gleiche Prozedur, das Gepaeck abnehmen, einzeln hinueber tragen, dabei bloss nicht ausrutschen, zum Schluss das Fahrrad und dann alles wieder festzurren. Landschaftlich ists ein Erlebnis, ein tief in den roten Fels eingeschnittener Canyon, ein gruener terrassierter Talboden die Piste verlaeuft mal unten, mal oben, mit grandiosen Ausblicken. Etwa alle 5 km passiert man ein Dorf, die Leute sind freundlich. Waehrend die letzten 2 Tage in den Touristenregionen die Konversation meist auf ‚Donne moi ...’ reduziert war, wird jetzt wieder das Wohin und Woher ausgetauscht. Ich bekomme immer wieder ein ‚Bon voyage’, ‚Bon courrage’ oder ‚Bienvenue en Maroc’ mit auf die Reise. Die Leute sind zu Fuss oder auf dem Muli zwischen ihren Doerfern unterwegs. Zwei Maedchen fragen mich laut lachend, ob ich nicht mein Rad gegen ihren  Esel tauschen will. Drei Geschwister die mir beim Tragen meines Gepaecks ueber den Fluss helfen laden mich nach Hause in ihr Berberdorf ein. Ich wollte zwar eigentlich noch ein gutes Stueck weiterkommen, aber der Besuch bei der Familie verspricht interessant und unterhaltsam zu werden und ich breche den heutigen Tag schon nach 50 km ab. Zunaechst die uebliche Zeremonie mit dem Tee, nur die Mutter, die Oma und 3 Schwestern (13, 15 und 18 Jahre alt) sind zu Hause. Sie koennen es nicht fassen, dass ich ein ganzes Buch ueber Marokko dabei habe und blaettern stundenlang in meinem Reisefuehrer. Nach und nach trudeln der Rest der Familie ein, die beiden juengeren Brueder aus der Schule, die beiden aelteren Brueder von der Arbeit (sie renovieren gerade eine Kasbah im Nachbarort) und schliesslich der Vater vom Feld. Sie bewohnen ein Typisches Haus der Region, Naturstein, mit Lehm verputzt, mehrere Zimmer + Kueche um einen Innenhof, Lehm(!)Flachdach. Dazu Stallungen fuer Huehner, 10 Ziegen, 2 Schafe, eine Kuh. Hier oben dreht sich das Leben um ganz andere Dinge als bei uns, 11. September, Golfkrieg oder Wirtschaftskrise sind kein Thema, der von einer Autobatterie versorgte Fernseher laeuft nur zu besonderen Anlaessen. Die Familie ist sehr interessiert, wie wir leben, es ist ihnen aber alles sehr fremd. Der Vater und die aelteren Brueder sind sich nicht ganz einig, ob sie schon einmal etwas von Bier gehoert hatten, getrunken hatten sie’s jedenfalls noch nie. Meine letzte Dose macht die Runde, nachdem sie ausgiebig betrachtet und analysiert wurde. Vor dem Abendessen geht der Juengste mit einer Kanne warmen Wasser und einer Schuessel durch die Runde, damit jeder die Haende waschen kann. Dann wird aufgetischt, Tajine + Fladenbrot, was sonst, ich verteile meine restlichen Kaeseecken. Die Frauen essen in einem anderen Raum. Anschliessend darf ich mich im Wohnzimmer mit meinem Schlafsack ausbreiten.

Am naechsten Morgen heisst es Abschied nehmen, mit dem Versprechen die Fotos zu schicken. Da sich die wenigen Schreibkenntnisse der Familie auf arabische Schriftzeichen beschraenken, muss ich die Adresse selbst aus der `Carte d`Identité´ des Vaters abschreiben. Die beiden Jungs bekommen meine zweite Radflasche und mein blinkendes Batterie-Ruecklicht. Die Maedchen freuen sich ueber meinen Deostift und die Mutter ueber 20 DH fuer die Haushaltskasse. Dann mache ich mich bei strahlendem Sonnenschein auf die Weiterfahrt. Die restlichen 18 Pistenkilometer sind mega-hart, steil, steinig, matschig. Am ganzen Rad klebt der Lehm, drei Zaehne eines Ritzels verabschieden sich mit lautem Krachen. 500 Hoehenmeter sind zu bewaeltigen und ich benoetige 3,5 h bis ich die Asphaltstrasse erreiche. Jetzt habe ich’s mir endgueltig abgeschminkt, heute noch bis Marrakech zu kommen. Aber Landschaft und Wetter entschädigen für die Strapazen, Strahlend blauer Himmel, klare Luft und immer wieder der Blick auf die schneebedeckten Dreitausender.

Die letzten Kilometer bis zur Passhoehe erinnern an die Pyrenaeen. Auf der Passhoehe kein Schnee, ich begebe mich gleich auf die Abfahrt, denn die Souvenierhaendler haben’s auf mich abgesehen.

 

 

 

 

Die ersten 1000 Hoehenmeter sind schnell passiert, dann muss ich mich langsam auf die Suche nach einem geeigneten Zeltplatz machen. Es ist aber ueberall zu steil und zu steinig, bis ich ein Café finde und sich der Besitzer einverstanden erklaert, dass ich mein Zelt auf seiner Dachterasse aufbaue. Fuer 40 DH darf ich auch Toilette und Waschbecken benutzen und bekomme einen Eimer warmes Wasser zum Duschen. In der sternklaren Nacht sieht man bereits die Lichter von Marrakech. DD

Die verbleibenden 60 km sind in 2,5 h geschafft. Es geht durch Landschaften die mal an Italien erinnern, Olivenhaine, Zypressen, Zitrusplantagen,... . Mal waehnt man sich im Hochland von Madagaskar, wegen der roten Erde, Eukalyptus-Aufforstungen, Opuntienhecken und den Erosionsnarben an den Haengen. Die Ebene vor Marrakech wird intensiv bewirtschaftet und bewaessert, ich durchfahre sie auf einer 40 km langen Eukalyptusallee. Ein Hund macht Bekanntschaft mit meinem Pfeffer-Spray, er wird in Zukunft einen grossen Bogen um Radfahrer machen. Nach Erfahrungen mit aggressiven Hunden in Tunesien und Madagaskar, hatte ich immer eine Dose in der Trikottasche. Die Stadt empfaengt mich ohne haessliches Neubaugebiet mit Muell- und Schutthaufen, man ist gleich mitten drin. Ich arbeite mich zielstrebig durch die Gassen zum Djamaa El Fna Platz vor, dem Zentrum des Lebens in Marrakech. 5 min suedlich davon in der Medina beziehe ich ein schoenes, kleines Hotel, eingerichtet in einem ehemaligen Buergerhaus. Der Innenhof ist mosaik-verziert, von der Dachterasse hat man einen schoenen Blick ueber die Altstadt bis in die verschneite Atlaskette. Fuer das Doppelzimmer bezahle ich 110 DH (etwa 11 Euro). Dann streife ich durch die Suqs noerdlich des Djamaa El Fna Platz, das geht fast ohne Anmache, verglichen mit Zagora oder Ouarzazate, Touristen sind eher die Minderheit. Marrakech ist vor allem Anziehungspunkt fuer die Einheimischen, selbst die Berber aus den entlegenen Bergdoerfern kommen mindestens einmal im Jahr hierher zum Einkaufen und um sich zu amuesieren. Jede Zunft hat ihr Viertel in den Suqs, seien es die Gerber, die Silberschmiede, die Schuster, die Faerber, ... . Mal biege ich um eine Ecke und vom 10-jaehrigen bis zum Opa sind alle beim haemmern, schweissen, flexen, in dieser Gasse arbeiten die Kunstschmiede an Gittern, Gelaendern, Tueren und Fenstern. Man kann stundenlang durch die Gassen laufen, die Sonne zeigt einem den Weg zurueck zum Platz. Am spaeten Nachmittag beobachte ich von der Dachterasse eines Cafés das Treiben auf dem Djamaa El Fna, Schlangenbeschwoerer, Artisten, Wahrsagern Maerchenerzaehler, die ersten Garkuechen werden aufgebaut. Die ganze Stadt scheint auf den Beinen, Mopeds und Fahraeder stehen in Reih und Glied auf bewachten Abstellplaetzen. Eine Nummer mit Kreide auf den Sattel geschrieben hilft das Wiederfinden. Ich esse etwas in den Garkuechen auf dem Platz, das Essen wird frisch vor den Augen der Gaeste zubereitet. Es sind an die Hundert, der ganze Platz dampft, ueberall Musik, eine unbeschreibliche Stimmung. Bis Mitternacht sind Strassen und Gassen belebt, dann kehrt langsam Ruhe ein.

 

Sonntag 22.12.2002, Agadir/Inezgane: Nach 2 Wochen wieder zurueck am Ausgangspunkt der Tour, Busbahnhof Inezgane. Morgens schnell in einem Strassen-Café in Marrakech gefruehstueckt und den Flug rueckbestaetigt. Nochmal kurz durch die Suqs und ueber den Damaa El Fna, dann durch die parkaehnlich angelegte Neustadt zum Busbahnhof gefahren. Der ist so sauber und modern, dass er auch in Europa stehen koennte, waeren da nicht die Schlepper die sich auch handgreiflich um die Passagiere streiten. Ich bezahle 60 DH fuer die Fahrt nach Agadir, 30 DH fuers Fahrrad (wahrscheinlich zu viel) und 10 DH fuer den Schlepper weils angeblich kein Wechselgeld gibt. Die Fahrt im modernen, aber etwas abgewrackten Reisebus ist wenig spektakulaer, nach 4 Stunden sind wir in Inezgane. Es ist Markttag, die Bauern aus dem Anti-Atlas haben Ausgang, das Durchkommen auf den Strassen mit Fahrrad und Gepaeck ist schwierig. Steige im billigsten Hotel meiner Reise ab, 25 DH (2,50 Euro) fuers EZ im Hotel Paris, Dusche auf dem Gang, sonst sehr sauber. Habe keine Lust mehr die 15 km nach Agadir an den Strand zu fahren. Meine letzten Dirham muss ich mir gut einteilen, habe nur noch Reiseschecks, aber die Banken haben zu. Der einzige Geldautomat, den ich in Inezgane finden konnte ist defekt. Ein paar Brochettes am Srassenrand und noch 10 Dh fuers Internet-Café nebenan, bleiben genau 13 Dh fuers Fruehstueck morgen.

Dienstag 24.12.2002, Berkheim: Die 13 Dh reichten noch für einen großen Café au Lait, 2 Pain au Chocolat und ein Croissant. Um 9 Uhr radele ich los, 15 km Richtung Aeroport. Zwischen den Arganien-Bäumen ist´s nach den Regenfällen grün geworden, die ersten Ziegen, Schafe und Kamele fallen darüber her. Am Flughafen bekannte Gesichter, der Schwätzer der auf dem Hinflug hinter mir saß und nur zum Essen einige Minuten den Mund hielt. Jeder kennt ungewollt seine Lebensgeschichte (Rentner, Wohnung in Agadir für 50.000 DM, Flugticket für 150 Euro, ...), er ist inzwischen braungebrannt. Der Münchner der in NY lebt und auf dem Hinflug wg og Person einen anderen Sitzplatz suchte. Die Allgäuerin mit marokkanischem Freund, die mit uns im Bus Richtung Atlas saß. Wir tauschen Eindrücke aus. Jeder hat andere Erfahrungen gemacht. Ich bin z.B. nie auf die Idee gekommen, einen Hammam (Dampfbad) zu besuchen, werde ich beim nächsten Mal bestimmt nachholen (Erika Därr gibt auch hierfür Verhaltensratschläge, wie ich im Nachhinein feststelle). Der Rückflug ist wie der Hinflug verspätet, es gibt wieder zu wenig Essen an Bord. Ich würde allerdings auch ganz aufs Essen verzichten, wenn das Ticket dafür billiger wäre.

Fazit: Hinter mir liegen knapp 1000 km auf dem Rad, davon 200 km Piste, der Rest Asphalt. Es verlief alles planmäßig, außer einem Platten und einem gebrochenen Lowrider (hielt geschient mit einer Stricknadel für den Rest der Tour) auf dem ersten Pistenabschnitt, sowie der Nacht im Biwaksack. Die eigentliche Route hat sich erst im Lauf der Zeit herauskristallisiert. Marokko ist weitaus vielfältiger und ursprünglicher als Tunesien. Man sollte deswegen mind. 2 Wochen dafür einplanen. Viele Traditionen, die in Tunesien nur noch für Touristen praktiziert werden, sind in Marokko noch Alltag. Man kann sehr preiswert leben, ich habe im Schnitt weniger als 15 Euro/Tag gebraucht. Wer häufiger zeltet und selbst kocht kommt mit der Hälfte klar. Wer anspruchsvoller bei der Hotel- und Restaurantwahl ist, kann leicht das 3-4fache ausgeben. Essen gehen ist verhältnismäßig teuer, selbst in einfachsten Restaurants (mit Abstrichen an Hygiene und Service) wird man mit Getränk 5 Euro los, ziemlich viel, nur um satt zu werden (in Tunesien etwa die Hälfte). Nicht nur zum Radfahren kann man Marokko weiterempfehlen, auch zum Bergsteigen, Skitourengehen, oder auch nur um die ehem. Königsstädte zu besichtigen. Ein Flugticket (ab ca. 130 Euro) genügt, alles andere kann man vor Ort organisieren. Französischkenntnisse sind von Vorteil, aber auch mit Englisch, Spanisch (Gastarbeiter!), Deutsch, Händen und Füßen kommt man zurecht.