Der Golfball von Angelika Lindner
verfasst am 10. März 2004



Erste Anzeichen

„Was ist das nur?“, dachte sie sich. In letzter Zeit hatte sie den Eindruck, dass sie immer wieder leichte Schwierigkeiten mit dem Halten des Gleichgewichts hatte. Beim Radfahren, ihrem größten Hobby merkte sie dies auch schon, insbesondere in sehr engen Kurven und zwischen den üblichen Begrenzungspfählen, die Autofahrer daran hindern sollten, Rad- und Fußwege zu benutzen. Sie stieg an solchen Stellen mittlerweile sogar gelegentlich vom Fahrrad, um gefahrlos diese Stellen zu überwinden.

Zuerst hielt sie dies für ein Problem mangelnder Übung, insbesondere wenn sie im Frühling ihr Fahrrad wieder aus dem Keller holte. Aber im letzten Sommer sollte es dabei keine wirkliche Besserung geben. Gleichzeitig bemerkte sie auch, dass ihr Hörvermögen langsam nachließ. Sie dachte sich anfangs auch dabei nichts, schließlich hatten ja eine ganze Reihe ihrer Vorfahren mit zunehmenden Alter genau dieses Problem. „Ich bin ja mit 42 Jahren auch nicht mehr die Jüngste“, dachte sie sich und beruhigte sich damit selbst.

Bei Spaziergängen mit ihrem Freund bemerkte sie aber dann, dass sie wohl nur auf dem rechten Ohr dieses Problem hatte. Sie war so stets bestrebt, rechts von ihm zu gehen und ihm so ihr linkes, wohl intaktes Ohr zuzuwenden. Allmählich beschlich sie daher das Gefühl, dass hier doch irgend etwas nicht ganz stimmen konnte. Sie teilte wenig später diese Beobachtungen ihrem Freund und auch ihrer besten Freundin mit, welche sie übereinstimmend und unabhängig voneinander dazu rieten, doch einmal einen Arzt aufzusuchen.



Schockierende Diagnose

Sie schob die Sache noch einige Monate vor sich hin, es gab ja keine Kennzeichen für eine bedrohliche Entwicklung. Aber im Winter ging sie dann doch zu ihrer Hausärztin, welche sie sofort zu einen Facharzt überwies. Dort unterzog sie sich einigen Tests und bekam auch eine Überweisung zur Computertomografie. Auf ihre Frage, was denn dort festgestellt werden solle, sagte der Arzt, er wolle sehen, ob es sich um eine Nervenentzündung handele und ob das Vorhandensein eines Tumors ausgeschlossen werden könne.

Zuerst vergaß sie diesen Termin, es war ja auch schon fast Weihnachten und sie hatte ganz andere Gedanken in ihrem Kopf. Nach einer eingehenden Entschuldigung bekam sie einen neuen Termin, den sie dann auch wahrnahm. Sie wurde dort in eine große Röhre hineingeschoben, die etwas von einem Backofen hatte. Nur war es dort nicht heiß, sondern nur laut. Sie kam sich vor, als ob sie in einer großen Halle einer Werft läge, die Messungen machten wohl einen solchen Lärmpegel notwendig. Nach der Untersuchung wartete sie noch auf die Bilder, welche ihr dann von einer Ärztin ausgehändigt wurden. Darauf war eindeutig ein Tumor zu sehen, der etwa die Größe eines Golfballs hatte.


Das Krankenhaus

Mit diesem beunruhigenden Ergebnis ging sie am darauffolgenden Freitag wieder zu ihrem Arzt, der sie daraufhin sofort in ein Krankenhaus einwies und gleich einen Termin für Montagmorgen vereinbarte. Am Wochenende sah sie sich das Krankenhaus vorsorglich einmal von außen an, um sich einen gewissen Eindruck von der Stelle zu verschaffen, an der über ihr weiteres Leben entschieden werden soll. Der Eindruck war aufgrund des äußeren Eindrucks mehr als niederschmetternd: Ein riesiger fabrikähnlicher hässlicher Klotz, dem jegliche menschliche Ausstrahlung fehlte. Sie fühlte sich hilflos einer anonymen Maschinerie ausgesetzt, sehr wohl aber auch wissend, dass alles Weitere nun nicht mehr in ihrer Hand liegen würde.

Am Montag war dann der Termin. Nachdem sie das ganze Wochenende an der Situation gekaut und sich das Gehirn zermartert hatte, fuhr sie mit ihrer besten Freundin in das Krankenhaus. Sie hatte vorsorglich schon alle ihre Sachen gepackt und sich auf eine stationäre Aufnahme eingerichtet. Nachdem sie sich in der Ambulanz angemeldet hatte, kam es nach etwa halbstündiger Wartezeit zu einem Gespräch mit einem Arzt. Dieser hinterließ den Eindruck, dass ihm diese Art Tumor durchaus vertraut sei. Er schaffte es, ihre Angst auf ein erträgliches Niveau zu senken, schließlich sei ja genau diese Art Tumor noch nie bösartig gewesen. Auch die Tatsache, dass sie nun innerhalb des Hauses war, ersparte ihr logischerweise den Anblick desselben, was eine weitere „vertrauensbildende Maßnahme“ war.

Das Ergebnis des Gespräches war, dass festgelegt wurde, dass der Tumor operativ entfernt werden soll und dies in diesem Hause auch schon oft praktiziert worden war. Er klärte sie noch ein wenig über Chancen und Risiken der Operation auf und hinterließ bei ihr den Eindruck, dass sie in guten Händen sei. Auf die Frage, ob sie denn gleich dableiben solle, wurde aber geantwortet: „Nein, auch kann ich ihnen nicht versprechen, dass es diese Woche schon gehen wird, aber danach sollte es schon klappen.“ Mit dieser Information meldete sie sich noch einmal bei der Sekretärin, um in die Liste der geplanten Operationen zu kommen. „Wir melden uns dann bei ihnen.“, wurde ihr von dieser beschieden.

So fuhr sie wieder nach Hause. Irgendwie hatte sie die Tatsache, dass es heute noch nicht losgehen sollte auch beruhigt. Das Gefühl bei der Rückfahrt war ein anderes als bei der Fahrt zum Krankenhaus. Morgens blickte sie die vertraute Umgebung mit einer Art Endzeit-Stimmung an, während sie nun wieder mit neuem Lebensmut zurückkam. Die Tatsache, dass es sich um einen „gut“artigen Tumor handelte und das Gefühl des Vertrauens in die dortigen Ärzte hinterließen bei ihr ein gutes Gefühl.



Das Warten

Erwartungsgemäß erfolgte in der ganzen restlichen Woche kein Anruf. Damit hatte sie ja nach Information das Arztes ja auch nicht gerechnet. Sie war inzwischen bei ihrer Freundin vorübergehend eingezogen, ganz allein wollte sie in der Situation dann nun doch nicht sein. Sie hatte ihre Sachen stets bereit und hätte innerhalb weniger Minuten alles beisammen, wenn sie vom Krankenhaus den „Marschbefehl“ bekommen hätte.

Das nächste Wochenende verging, die nächste Woche begann. Als weder am Montag, noch am Dienstag ein Anruf des Krankenhauses erfolgte, begann sie allmählich eine leichte Unruhe zu beschleichen. „Haben die mich vergessen?“ Dieses Gefühl begann sich in ihr Bewußtsein zu graben. Am Mittwoch hielt sie diese Ungewissheit nicht mehr aus und rief einfach im Sekretariat an. Auf ihre Frage, wann es denn nun so weit sei, bekam sie zur Antwort: „Wenn wir einen für diese Art der Operation nötigen Platz in der Intensivstation frei haben, rufen wir sie sofort an.“ Auf ihre Frage, wann denn mit diesem freien Platz zu rechnen sei, konnte man ihr aber nicht antworten. Mit dieser wenig konkreten Information war dann das Gespräch beendet.

Da sie nun ahnte, dass die ganze Angelegenheit in eine unbestimmte Zeitdimension zu treiben schien, befasste sie sich nun erst einmal mit den Dingen, die sie eigentlich im Anschluss an die Operation zu tun gedachte. Sie kümmerte sich um ihre Zukunft, indem sie die letzte Möglichkeit nutzte, in ihrem Leben noch eine Ausbildung in einem Beruf zu beginnen, der ihrem Naturell entgegenkam und auch Freude machen könnte. Ihren ersten Beruf im technischen Bereich übte sie nun schon jahrelang nicht mehr aus und ihr fehlte dabei überhaupt nichts. Nun soll es „auf zu neuen Ufern“ gehen und zwar in zwei Monaten. Die Operation dürfte wohl zeitlich dazwischen passen, zumindest dachte sie das...



Im Krankenhaus

Ihre Telefonanrufe im Sekretariat der Klinik wiederholten sich in den darauffolgenden Wochen noch mehrere Male. Als sie an einem Montag nach vier Wochen wieder einen ihrer mittlerweile zur Routine gewordenen Anrufe machte, sagte man ihr, dass sie sich noch am gleichen Tag gegen Mittag in der entsprechenden Station zur stationären Aufnahme einfinden solle. „Nun geht es endlich los!“, freute sie sich. Na gut, ob es wirklich Freude war, mag dahingestellt bleiben, aber es sollte wohl endlich etwas passieren.

Ihre beste Freundin hatte an diesem Tage zum Glück frei und so fuhr sie sie unverzüglich in die Klinik. Nach der Aufnahmeprozedur in der Krankenhausverwaltung begab sie sich auf die Station, wo ihr sogleich ein Platz in einem Dreibettzimmer zugewiesen wurde, natürlich war nur noch das ungeliebte Mittelbett frei. Ihre Freundin wartete noch eine Weile, bis sie die ersten Routine-Untersuchungen (Röntgen, EKG) hinter sich gebracht hatte und fuhr dann nach Hause. Außer einer eingehenden Entnahme von Blutproben erfolgte dann noch ein Aufnahmegespräch. Dieses wurde von einer Schwesternschülerin begonnen, später kam noch ein Assistenzarzt dazu. Dieser zeichnete sich durch erkennbares Desinteresse und Unsensibilität aus, was ihr in ihrem anfänglichen Optimismus einen kleinen Dämpfer gab.

Danach passierte erst einmal nichts mehr, es war ja schon Abend. Die eine ihrer beiden Zimmergenossinnen hatte ihre Operation gerade an diesem Tage hinter sich gebracht, die andere sollte am nächsten Morgen an die Reihe kommen. Sie unterhielten sich noch eine Weile, bis der Abend ohne weitere größere Ereignisse verging. Sie war nun gespannt, was sie am nächsten Morgen erwarten würde.

Mit den krankenhaustypischen Dingen wie Fiebermessen, Messen des Pulses, Betten machen und natürlich dem unverwechselbaren Krankenhaus-Frühstück begann der nächste Morgen. Erste Medikamente wurden ihr auch schon gereicht. Auf eine Frage, wofür diese denn eingenommen werden müssen, sagte die Schwester: „Die Tabletten sind entzündungshemmend und dienen der Op.-Vorbereitung.“ Diese Aussage veranlassten sie erneut zu der Zuversicht, dass nun in Kürze endlich etwas passieren würde.

Am Vormittag kam ein Arzt zur Visite. Auf ihre Frage, wann denn nun die Operation starten würde, versicherte man ihr, dass es im Verlaufe dieser Woche passieren würde. Es wurden noch einige Untersuchungen angeordnet und schon war der Arzt wieder weg.

Inzwischen machte sie sich mit ihren Zimmergenossinnen bekannt. Zum Glück verstanden sie sich recht gut miteinander. Es begann so etwas wie Routine einzukehren, an diesem Tage geschah nichts Wichtiges mehr. Eine Reihe Anrufe von Freunden und Bekannten lockerten den Tag noch ein wenig auf. Es tat ihr gut, dass so viele Menschen an sie dachten. Am Abend kam dann noch ihre Freundin zu Besuch und so verging dann der zweite Tag in diesem Hause.

Am Mittwochvormittag kam eine andere Ärztin zur Visite. Diese unterrichtete sie nun davon, dass die Operation „...morgen nicht, sondern entweder am Freitag oder wenn es ganz schlimm kommt, dann doch erst Montag...“ stattfinden würde, ein Notfall sei dazwischengekommen. Somit stieg die Ungewissheit über ihre Situation erneut ein Stück an und sie begann sich langsam Gedanken nach dem Sinn des Krankenhausaufenthaltes zu machen. Danach ging es noch zu einem Test, bei dem sie unter einer Mischung aus Würge- und Schluckreizen einen dicken Schlauch schlucken musste, es war eine sehr unangenehme Prozedur. Am Nachmittag wurden noch ausgiebige Tests des Gehörs und des Gleichgewichtssinns unternommen und an deren Ende wünschte man ihr noch viel Glück für die „morgige Operation“, von der sie nun aber nicht mehr wusste, wann sie stattfinden würde. Das beste an diesem Tage war die Tatsache, dass sie am Abend noch Besuch von ihrem Freund bekam, was sie wieder etwas aufbaute.

Am Donnerstag kam genau das, womit sie schon fast gerechnet hatte: Bei der Visite kam erneut ein anderer Arzt und dieser sagte ihr, dass es nun in dieser Woche doch nichts mehr werden würde. Nun war es also klar, dass sie 4 Tage einen teuren stationären Aufenthalt in einem Krankenhaus „genossen“ hat, der im Ergebnis nichts gebracht hatte. So konnte sie an diesem Tage erst einmal wieder nach Hause fahren. Bis dahin wurde noch das Vorbereitungsgespräch für die Operation geführt. Ein Gespräch mit der Anästhäsistin schloss sich an, denn offiziell ging man noch davon aus, dass ich am Sonntagabend wieder im Krankenhaus sein sollte und am Montag die Operation stattfindet.

Kurze Zeit danach sagte man ihr noch, dass sie am Sonntagmittag im Stationszimmer anrufen solle, um zu erfragen, ob der Termin nun am Montag oder Dienstag sein werde. Also gab es nun schon wieder eine mögliche Verschiebung. Aber sie ärgerte sich darüber noch nicht so sehr, konnte sie doch erst einmal wieder nach Hause.



Das Warten geht in die nächste Runde

Sie verbrachte das Wochenende wieder bei ihrer besten Freundin. Am Sonntagmittag rief sie in der Station an. Dort konnte man ihr zuerst gar nichts sagen, niemand wusste irgend etwas. Sie sollte eine Stunde später noch einmal anrufen und dabei sagte man ihr: „Sie werden angerufen, wenn ein Platz in der Intensivstation frei wird...“, also der selbe Spruch, den sie nun schon seit fünf Wochen in ihr verbliebenes linkes Ohr geflüstert bekam.

Am Montag ging sie zu ihrem Facharzt. Sie hatte die Hoffnung, dass er sich möglicherweise im Gespräch mit den Verantwortlichen im Krankenhaus ein wenig für sie stark machen könnte. Am Nachmittag bekam sie das Ergebnis dieser Bemühungen mitgeteilt: Es war fast wörtlich exakt der gleiche Text, den sie seit mehreren Wochen zu hören bekam.



Was war das nun eigentlich?

Auf die Wartezeit zurückblickend – insbesondere den stationären Aufenthalt – nahm das ganze für sie zunehmend groteske Züge an. Sie hatte nun vier Wochen zu Hause gewartet, war vier Tage im Krankenhaus, was ihr große Hoffnung auf Hilfe suggerierte. Dies erschien ihr nun wie eine Potemkinsche Fassade, ebenso wie das Defilee der Statisten, als die sich ausnahmslos alle Ärzte herausstellten, mit denen sie dort Kontakt hatte. Sie fühlte sich so hilflos und verloren gegenüber einem gnadenlosen Apparat, der nach keinen erkennbaren logischen Prinzipien zu funktionieren schien.

Wechselbäder der Gefühle, das Wissen um den unwiederbringlichen Verlust des Hörvermögens im rechten Ohr mit jedem Tag des Wartens, die Möglichkeit der Gefährdung ihres Ausbildungsbeginns ließen sie einem Zustand der Verzweiflung sehr nahe kommen. Sollte aus dem Golfball erst ein Tennisball werden, um die nötige Dringlichkeit zu rechtfertigen? Um sich ein wenig abzureagieren, schrieb sie Beschwerdebriefe an die Verantwortlichen in der Klinik, welche Wirkung die wohl haben werden? Sie konnte es sich fast vorstellen...



Die Operation

Nach wenigen Tagen erhielt sie nun aber die "Einberufung". Sie war sehr erleichtert, obwohl sie damals noch nicht wusste, was ihr bevorstand. Zumindest war das Warten beendet, die daraus resultierende Unsicherheit war nichts für ihre Nerven. Ob der Termin eine Folge ihrer Beschwerde war, konnte sie nur mutmaßen, natürlich würde niemand dies offiziell verlautbaren lassen. Aber dies alles war ihr von nun an egal und die Unsicherheit beendet. Endlich!

Das, was sie nun erwartete, war alles anderer als einfach. Jeder ihrer bisherigen gesundheitlichen Einschnitte in ihrem Leben (es gab davon eine ganze Menge davon) hat nicht annähernd so viel von ihrer eigenen Psyche gekostet, wie es diesmal gewesen war. Sie hätte nicht gedacht, dass sie etwas schocken könnte, aber hier ist nun der einfache Beweis dessen angetreten worden. Sie hat allein dafür, dass sie diese Zeilen schrieb, den Umgang mit der Tastatur neu erlernen müssen. Sie konnte früher mit 10 Fingern ohne Probleme schreiben, heute muss sie sich diese motorischen Fähigkeiten schrittweise neu erarbeiten.


Der erste Tag Am nächsten Tage erfolgte dann frühmorgens der langersehnte Anruf von der Klinik. Sie sollte sich also um die Mittagszeit dort einfinden, um sich stationär aufnehmen zu lassen. Es passierte nun etwas, was ich bis dahin in diesem Hause vermisst hatte: Sie wurde ernst genommen! Zuerst ging es zu einem Gespräch mit dem HNO-Professor, der bei der Operation dabeisein wolle, da hier die HNO-Leute einen gehörigen Anteil haben würden. Dabei wurde ihr erstmalig reiner Wein eingeschänkt, indem gesagt wurde, dass sie mit einer Gesichtslähmung auf jedem Fall rechnen und sie auch künftig rechts nichts mehr hören könne. Einer der Oberärzte war da (hat mit operiert – Zugang gelegt, während die Operation von dem Chefarzt vorgenommen wurde) und ihr über die Operation erzählt. Danach kam wie gesagt noch das HNO-Team und hat den Rest des Tumors aus einem Ohrknochen (der durch die Operationsnarbe aufgefräst werden musste) herausholen müssen.

So hat sie das Ergebnis des Vorgespräches alles andere als begeistert, aber welche andere Lösung gab es sonst? Ihr blieb also nichts anderes übrig, das Ganze mitzumachen.


Zweiter Tag Am nächsten frühen Morgen um 7.30 erfolgte die Abfahrt zur genauen Zielbestimmung. Inzwischen hatte sie ihre "LMAA-Tablette" bekommen und demzufolge merkte sie zwar noch die sie umgebenden Aktivitäten, aber sie tangierten sie kaum noch. Danach kam Vorbereitung der Anästhäsie, ab 8.30 merkte sie nichts mehr.

Um 17.00 Uhr soll Sie auf die Intensiv-Station gekommen sein, um langsam auf die Aufwachphase vorbereitet zu werden. Etwa ab 20.00 Uhr setzten eigene Erinnerungen ein, der Intubationsschlauch (sie hatte ihn ungefähr 8 Stunden drin) kam raus. Ihre erste für sie erkennbare Reaktion war das Gefühl von entsetzlicher Hilflosigkeit, welches sie noch in den folgenden Tagen begleiten sollte.


Dritter Tag So verbrachte sie ihre erste Nacht auf der Intensiv-Station und verbrachte diese mehr schlecht als recht. Am nächsten Morgen war so etwas wie die erste Bestandsaufnahme möglich. Das Ergebnis war für sie mehr als niederschmetternd:
halbseitige Lähmung des Gesichts, Stimme im Eimer, Schlucken und somit Essen eine Qual.
Am Morgen erfolgte die Visite durch den Oberarzt, mit dem sie das Gespräch hatte. Die Operation selbst sei ordnungsgemäß verlaufen und alles andere eine Frage der Zeit, wann das Ganze wieder in Ordnung kommt. Am Nachmittag der erste Besuch ihrer besten Freundin. Sie konnte sich vorstellen, dass diese sehr erschrocken war, aber es tat ihr unwahrscheinlich gut. Sie empfand das als wunderbares Gefühl, nicht ganz allein mit ihrem "Problem" dazustehen bzw. zu liegen.


Vierter Tag In der nächsten Nacht konnte sie etwas besser schlafen. Am nächsten Morgen, es war inzwischen Sonntag und der vierte Tag im Krankenhaus, war sie erneut etwas klarer. Es gab die übliche Visite, bei der wiederum der Oberarzt und der Arzt dabei war, den sie aus der Ambulanz kannte. Am Nachmittag bekam sie auf der Intensiv-Station erneut Besuch von ihrer besten Freundin und von ihrem Freund. Am Abend, natürlich während des für sie quälenden Essens, erfolgte eine Computer-Tomografie. Man wollte das Ergebnis der Operation überprüfen und man sagte ihr, dass das Ergebnis gut sei. Dann wurde sie noch auf die normale Station verlegt, was sie als weiteren Schritt in Richtung Normalisierung empfand.


Fünfter Tag Am darauffolgenden Montag erfolgte die Visite durch den Chefarzt und kurz darauf durch einen weiteren Oberarzt. Man schickte sie in HNO-Abteilung. Dort stellte man in einem Test folgerichtig den totalen Hörverlust auf der rechten Seite fest. Daneben erklärte man ihr noch, dass die Lähmung auch das Sprachzentrum erfasst habe und durch spätere Logopädie wiederhergestellt werden muss. Zwischendurch kam noch eine Krankengymnastin, die ihr allmählich etwas von ihrer Gesichtsmimik langfristig wiedergeben sollte. Am Abend bekam sie erneut Besuch von ihrer besten Freundin.


Sechster Tag An nächsten Tage geschah nichts Spektakuläres. Es kam die Krankengymnastin, die mit Eis versuchte, die motorischen Nerven zu reizen und die üblichen Übungen machen ließ. Am Nachmittag wurde noch der Blasenkatheder gezogen, so dass sie nun ihre Freiheit geniessen konnte. Am Abend kam dann mit zwei Freundinnen und ihrem Freund eine geballte Ladung Besuch.


Siebter Tag Bei der Visite fragte sie routinmäßig erneut nach der geplanten Reha-Maßnahme. Sie erhielt erneut Besuch von der Krankengymnastin. Ansonsten passierte an diesem Tage nichts Besonderes.


Achter Tag Am nächsten Morgen kam wieder die Visite von dem bekannten Oberarzt. Er sagte, eine Form der Infusion ist noch nötig, was den bis ins Herz reichenden Katheder an der Halsvene noch ein wenig dort verbleiben lassen sollte. Kurz danach erhielt sie wieder Besuch von der Krankengymnastin. Am Mittag (natürlich wieder während der Essenszeit) erfolgte ein großes Schädel-MRT, also eine eingehende Untersuchung des Operations-Ergebnisses. Am Nachmittag bekam sie dann noch Besuch von einer Freundin.


Neunter Tag Am nächsten Morgen kam zum vierten Mal die Krankengymnastin, auch eine Ergotherapheutin kam zum ersten Mal. Eine Rückfrage bei ihr ergab keine Zuständigkeit für Logopädie, was ihr allmählich Gefühle von Alleinbleiben mit dem Problem suggererierten. Am frühen Nachmittag wurde eine konziliarische Augenarztuntersuchung anberaumt, die nichts Spektakuläres hervorbrachte. Am Abend bekam dann noch Besuch von ihrem Freund.


Zehnter Tag Für den nächsten Morgen, es war ein Freitag, hatte sie für die Visite einen Fragenkatalog erstellt. Die wichtigsten Aussagen seitens des Arztes waren, dass der Herzkatheder in der nächsten Woche erst herauskommt, dass der Laborbefund inzwischen da sei und die These vom "gut"artigen Tumor bestätigte, die letzte MRT in Ordnung sei, für die Reha-Maßnahme die Nummer nötig sei und sich offenbar niemand so recht für die Wiederherstellung der Stimme zu interessieren schien.
Die Krankengymnastin kam zum fünften und letzten Mal, machte einige Übungen, sprach von Fortschritten und verabschiedete sich in´s Wochenende. Zwei Freundinnen kamen am Abend zu Besuch.


Elfter Tag Am nächsten Morgen wurde die Visite erneut von einem andereren Arzt vorgenommen. Sie hat viel getrunken und sich somit die Infusion mit Ausnahme vom heutigen Morgen gespart. Der Geschmack im Mund war durch des gestrige Trinken weitaus weniger dramatisch, auch der Uringeruch war weniger streng. Bei der Visite war von der Möglichkeit eines Reha-Beginnes am Montag, dem 08. März 2004 die Rede. Am davorgelegenen Wochenende könnte sie dann erst mal nach Hause – Die Entscheidung darüber muss aber mindestens ein Oberarzt fällen, Wochendend-Routine eben.
Am Nachmittag Besuch von ihrer besten Freundin. Am Abend hat sie dann noch mit ihrem Freund telefoniert. Er will am morgigen Montag allein zu Besuch kommen.

Der Zwölfter Tag Die Visite wurde von dem Oberarzt vorgenommen, der an der Operation teilgenommen hatte. Der Katheder am Herz sollte an diesem Tag endlich raus. Dann füllte sie noch den Reha-Antrag aus und hatte dadurch die Hoffnung, dass sich eine solche Maßnahme nahtlos oder fast nahtlos an den Krankenhausaufenthalt anschließen könne.

Nach der Visite kam eine andere Krankengymnastin und setzte das Werk ihrer Vorgängerin fort.

Am Nachmittag kam endlich der Katheder am Herz heraus, eine Krankenschwester zog ihn einfach heraus und von nun an war sie endlich von allen Schläuchen befreit.

Am Nachmittag desselben Tages sprach sie eine Anästhäsistin an (sie hatte gerade zuvor ein Gespräch mit einer anderen Patientin gehabt), ob der Stimmverlust auf die lange Anästhäsie zurückgehen könne. Sie muss sie wohl auf dem falschen Fuß erwischt haben, denn sie war die Verständnislosigkeit pur. Sie stellte die Frage: "Sprechen sie immer so?", was bei ihr jeglichen weiteren Gesprächsbedarf erlöschen ließ. Sie rief sofort ihre Freundin an und diese wiederum den Chefarzt der Anästhäsie in diesem Hause. Er wollte sich persönlich der Sache annehmen.

Am Abend bekam sie Besuch von ihrem Freund und er brachte sie endlich wieder auf andere Gedanken, sie wäre sonst verzweifelt.

Dreizehnter Tag Bei der Visite hat sie erneut die Punkte angesprochen:
-Wann kann ich raus? Ich will hier raus, die Decke fällt mir auf den Kopf!
Die Antwort lautete: "Morgen können sie entlassen werden."
-Wann beginnt Reha-Maßnahme?
Hier lautete die Antwort: "Für Montag ist die Maßnahme angepeilt." (Damals war Dienstag)
-Wie sieht die Reha-Maßnahme aus – ambulant oder stationär?
Die Antwort lautete: "Natürlich wird die Reha-Maßnahme stationär durchgeführt."
-Was ist mit Stimme (wer fühlt sich verantwortlich?)
Die Antwort: "Logopädie müßte in der Reha-Maßnahme inbebegriffen sein."

Kurz danach kam die Krankengymnastin und setzte ihre Übungen fort. Sonst passierte an diesem Tag shr wenig und sie langweilte sich entsetzlich.

Am Abend erhielt sie Besuch von einer ehemaligen Arbeitskollegin. Sie grüßte sie ganz herzlich von allen, mit denen sie einst zusammen gearbeitet hatte.

Nachdem diese wieder gegangen war, bekam sie letzmalig Besuch von ihrer besten Freundin.

Vierzehnter Tag An díesem Tag fragte sie bei der Visite, wann sie denn rauskäme. Man sagte, dass es an diesem Tage noch gehen solle, man aber erst noch Fäden ziehen und einen Arztbrief (für den behandelnden, also einweisenden Arzt) schreiben müsse. Am Mittag erfolgte dies und eine Freundin holte sie am frühen Nachmittag dann ab. Sie war endlich zu Hause!



Wie sollte es jetzt weiter gehen?

Nun war sie inzwischen länger als eine Woche zu Hause. Sie hatte immer noch die bekannten Probleme, von denen nur ein Bruchteil zurückgegangen war. Aber sie war wenigstens zu Hause, ihr Freund kam zu Besuch, auch sonst versuchte sie, so viel Normalität wie nur möglich zu leben. Aber es war schwer!

Nun hatte sie noch das Problem, dass es mit ihrer Reha-Maßnahme doch nicht so schnell zu gehen schien, wie sie ursprünglich dachte. Diese Problematik jeden Tag bei der Visite ansprechen heißt leider noch lange nicht, dass die Maßnahme auch wirklich angegangen wird. Viele Köche schienen den Brei verdorben zu haben, keiner fühlte sich zuständig, alle Kliniken mit denen sie inzwischen selbst Kontakt suchte, hörten zum ersten Mal von ihrem Anliegen. Sie fühlte sich inzwischen gründlich veralbert...

Nun bekam sie inzwischen die Nachricht, dass am nächsten Dienstag (16. 03. 2004) endlich ihre Reha-Maßnahme beginnen würde...


wird fortgesetzt

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